Rechtsruck

Polen ist nach rechts gedriftet, weil viele Junge und Gebildete den Glauben an eine liberale Gesellschaft verloren haben

Krakau, November 2015: PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński (Mitte) und Premier Beata Szydło beten für ein starkes Polen Foto: Stanislaw Rozpedzik/dpa

Sehnsucht nach dem Vater

Wir brauchen einen, der uns an die Hand nimmt, sagt Jakub Wydrzyński. Der schwule Doktorand ist nicht der Einzige, der so denkt. Berater Konrad Kotlarczyk bekennt: „Patriotismus ist meine neue Religion“

Aus Krakau Paul Toetzke

Eigentlich wollte Jakub Wydrzyński gar nicht über Politik reden. Literatur oder Kunst wären ihm lieber. Zu viele Streitereien gab es zuletzt mit den Mitarbeitern, zu oft musste er sich beschimpfen lassen. Bis sie sich entschlossen, keine politischen Diskussionen mehr am Arbeitsplatz zu führen. Jakub steht hinter dem Tresen von Massolit, einem Buchcafé für englischsprachige Literatur nicht weit von der Krakauer Altstadt. Es riecht nach Ingwer und warmer Milch, im Hintergrund läuft John Coltranes „Too Young to Go Steady“. Gelegentlich schleicht ein Kunde zwischen den Regalen umher, neben der Kaffeebar präsentiert ein junger Mann seiner Lehrerin die ersten Spanischsätze.

Die meisten Angestellten hier sind Studenten, unter 30 und wählen links. Jakub hat bei den Parlamentswahlen im Oktober für die nationalkonservative Partei PiS von Jarosław Kaczyński gestimmt. „Dabei bin ich schwul“, sagt der 33-Jährige in perfektem Britisch-Englisch und lächelt. Die meisten, denen er das erzählt, reagieren mit Unverständnis. Eine Partei, die sich offen gegen die Rechte von Schwulen und Lesben ausspricht und deren Anführer gegen „homosexuelle Propaganda“ in Schulen wettert? Für Jakub ist das kein Widerspruch. „Ich bin bereit, einen Teil meiner persönlichen Freiheit aufzugeben für eine bessere soziale Absicherung.“ Tatsächlich ist PiS – auch dank dem Versagen der polnischen Linken – die einzig ernst zu nehmende Arbeiterpartei. Sie verspricht einen höheren Mindestlohn und mehr Kindergeld.

Ein Fels wie Johannes Paul

Jakubs Finger wandern über den Tresen, zum Kühlschrank mit den Kuchen, zurück, fahren über die Kante, bis sie schließlich die Kaffeemaschine erreichen und fest zupacken. Er sucht Halt. „Was wir brauchen, ist jemanden, der uns eine Identität gibt, der uns an die Hand nimmt“, erklärt er, „so jemanden wie Papst Johannes Paul II. Ich glaube, wir Polen brauchen so eine Vaterfigur.“ Die hatte Jakub nie. Als Jugendlicher wurde er von den Eltern ins Kloster geschickt. Mit einer kirchlichen Therapie sollte seine sexuelle Orientierung verändert werden. Geklappt hat das nicht. Er lächelt, etwas beschämt, vielleicht überrascht von der eigenen Offenheit.

„Was bringt mir Toleranz, wenn ich gerade genug zum Leben habe?“

Jakub Wydrzyński

Mit der rechten Hand streicht Jakub über die Oberfläche eines Buchs von Amos Oz. Er hat englische Literatur und Kulturwissenschaften in Krakau und London studiert, gerade macht er seinen Doktor. Trotzdem muss sich Jakub mit drei Jobs über Wasser halten. Selbst hier im Buchcafé bekommt er jeden Monat einen neuen Vertrag – Kranken- und Urlaubsgeld gibt es nicht. „Was bringen mir Toleranz, gleichgeschlechtliche Ehe oder künstliche Befruchtung, wenn ich gerade genug zum Leben habe?“, fragt er und hebt seine Hände. Sie fallen ins Leere. Viele junge, gut ausgebildete Menschen würden so denken, glaubt Jakub. Die Zeit, in der PiS nur als Partei der Ungebildeten und Armen galt, ist vorbei.

„Die Hälfte meiner Generation ist in Großbritannien!“, er schüttelt den Kopf. Auch Jakub zog es ins Ausland. Israel. Sein Gesicht erhellt sich, die Hände gestikulieren wieder. „Dort habe ich gelernt, was es heißt, für sein Land zu kämpfen“, erzählt er. Voller Optimismus – und als Patriot – kehrt er nach Polen zurück. Doch schnell sieht er, dass sich nichts getan hat. Viele seiner Freunde haben das Land verlassen. Vom Aufschwung spürt er nichts. Er spricht über den zu geringen Mindestlohn, das korrumpierte Gesundheitssystem und die niedrige Geburtenrate.

Deswegen zählt er jetzt auf PiS. Jakub überlegt kurz und sagt dann voller Zuversicht: „Sie sagen uns, was wir hören wollen: ‚Wir sind für euch da, für Polen. Unsere Großväter haben dafür gekämpft, dass ihr und eure Kinder hier glücklich leben könnt.‘“

Ein weltläufiger Patriot

Für Polen kämpfen, das will auch Konrad Kotlarczyk. In großen Schritten läuft er mit wehendem Mantel auf die Statue des Dichters Adam Mickiewicz zu. Ein starker Parfümgeruch umhüllt ihn. Ein paar Tauben fliegen gerade noch rechtzeitig zur Seite. Der 29-Jährige spricht gern über die junge Rechte in Polen. Es sei höchste Zeit, ihr Image aufzupolieren, sagt er. Konrad unterstützt die Korwin-Partei, die sich Anfang dieses Jahres unter der Führung des Europa-Abgeordneten Janusz Korwin-Mikke gebildet hat.

Stolz und patriotisch: Konrad Kotlarczyk Foto: Paul Toetzke

Die Auftritte des 73-jährigen Korwin-Mikke führen regelmäßig zu Eklats, zuletzt zeigte er den Hitlergruß im Europa-Parlament und beschrieb ein europaweites Bahnticket als „Ein Reich, ein Volk, ein Ticket“. Flüchtlinge sind für ihn „menschlicher Abfall“ und Frauen zum Wählen ungeeignet. Unglückliche Formulierungen seien das, sagt Konrad und grinst. Mit der Kommunikation hapere es noch ein bisschen, aber im Prinzip habe Korwin-Mikke recht. Besonders gut kommt seine Partei bei Schülern und Studenten an. Unter ihnen war sie bei den Wahlen im Oktober am beliebtesten, sie scheiterte nur knapp an der Fünfprozenthürde.

Auch Konrad gehört zu dieser Generation. Einer Generation, der man viel versprach. Genau wie Jakub wuchs er mit hohen Erwartungen auf: Ende des Kommunismus, EU-Beitritt, offene Grenzen. „‚Ihr habt eine strahlende Zukunft vor euch‘, haben uns unsere Eltern gesagt, und wir haben es geglaubt.“ Konrad nippt von seinem Cappuccino. Er sitzt in einem der Cafés um den Marktplatz. Die Haare an der Seite kurz geschoren, das weiße Hemd nicht ganz zugeknöpft – ungefähr so wie auf seinem Facebook-Foto. Nur die weiß-rote Armbinde ist verschwunden – die hat er nur zur Feier des Unabhängigkeitstags am 11. November getragen. „Patriotismus ist meine neue Religion“, sagt er.

Konrad spricht selbstbewusst, sein Englisch ist fehlerfrei. Er hat Orientalistik in Polen und der Türkei studiert, neben Englisch beherrscht er vier weitere Fremdsprachen. Zusätzlich hat er Kurse an der Diplomatenschule in Warschau absolviert. Alles schien auf die „strahlende Zukunft“ hinzudeuten.

2007 gewinnt die liberalkonservative Bürgerplattform von Donald Tusk die Wahlen und inszeniert sich als Heilsbringer der Jugend. Auch Konrad lässt sich davon anstecken, bleibt aber misstrauisch. Sein Geld verdient er mit Übersetzungen. Nach ein paar Jahren verliert er die Geduld. „Nichts von dem, was versprochen wurde, wurde umgesetzt. Bis heute können wir keine Karrieren machen, die unserem Potenzial entsprechen.“ ­Unruhig fahren seine Hände an der Tischkante entlang, als wäre es ein Rednerpult. Immer wieder spricht er von „wir“ und „uns“ – Konrad sieht sich als Wortführer einer vergessenen Jugend. Seine Wortwahl richtet sich vor allem gegen die Generation seiner Eltern. „Sie haben vom Umbruch profitiert“, sagt er, „aber wir erinnern uns nicht an die Zeit davor. Was hilft es uns, wenn sie sagen: ‚Vor 30 Jahren war alles viel schlimmer?‘“

Bei den Wahlen im Oktober 2015 siegte die nationalkonservative PiS mit 37,6 Prozent. Aufgrund der Sitzverhältnisse im Parlament kann sie mit absoluter Mehrheit regieren. Die bis dahin führende liberalkonservative Bürgerplattform kam auf 24,1 Prozent. 8,8 Prozent der Wähler stimmten für die rechtspopulistische Bewegung Kukiz’15. Linke Parteien sind nicht mehr vertreten. Aktuellen Umfragen zufolge ist die Zustimmung für die PiS im Dezember drastisch abgestürzt.

In Korwin-Mikke hat er sein Sprachrohr gefunden. „Er ist wie ein Magnet“, sagt Konrad, „und er war der Erste, der Facebook und Twitter auf einem hohen Niveau nutzte.“ Seine teilweise homophoben, antisemitischen Äußerungen, seine Ohrfeige im Europa-Parlament und das Spiel mit Social Media machen ihn zum Star unter den Jungen. Er verspricht ihnen wirtschaftliche Freiheit ohne Einmischung des Staates. Steuern sollen reduziert, Schulen und Krankenhäuser privatisiert werden.

Bisher berät Konrad die Partei nur. Noch zögert er, ihr beizutreten. Gefragt wurde er schon mehrmals, er ist gut vernetzt in der rechten Szene. Mit dem „zweiten Mann“ der Partei, Przemysław Wipler, pflegt er engen Kontakt. Auch mit Krzysztof Bosak, einem der Anführer der rechtsradikalen „Nationalen Bewegung“ ist er befreundet. Das rechte Spektrum in Polen ist komplex, der Übergang zwischen rechtskonservativen und rechtsextremen Organisationen teilweise fließend. Oft stehen sie Seite an Seite wie beim alljährlichen Unabhängigkeitsmarsch in Warschau oder demonstrieren gemeinsam gegen Flüchtlinge. Konrad weiß, dass auch viele Unterstützer der Korwin-Partei aus dem nationalistischen Lager kommen. Radikale gebe es in jeder Partei, sagt er nur.

Zweimal den Koran gelesen

Keine Gespräche mehr über Politik: Jakub Wydrzyński Foto: Paul Toetzke

Und trotzdem versucht er sich zu distanzieren, weicht aus, relativiert. Er betont, er sei gegen ethnischen Nationalismus, auch gegen Muslime habe er nichts. „Ich hatte eine arabische Freundin, ich habe dort gelebt, ich habe den Koran zweimal gelesen.“ Aber er wisse auch, dass sich Muslime leicht radikalisieren würden. Überhaupt seien die Polen nicht bereit, sich zu öffnen. Die Menschen würden rebellieren.

Aber was treibt ihn an? Das eigene Schicksal? Man nimmt es ihm nicht ab, diesem sympathischen Mann mit der schicken Uhr, der ein Haus bei Krakau besitzt. Der selbst sagt, dass er gut verdient als Übersetzer. Und trotzdem ist jeder seiner Sätze voller Überzeugung. Jakub dagegen wirkt verunsichert, er sucht nach Stabilität, nach Identität, Zusammenhalt – so wie er ihn in Israel erlebt hat. Rückhalt, den er als Kind nicht bekam. Und eine soziale Absicherung durch den Staat. Gemeinsam rebellieren sie, jeder auf seine Weise.

Jakub und Konrad haben beide im Ausland gelebt. Weltoffener hat sie das nicht gemacht. Warum auch? „Wir wollen dieses Land nicht verlassen, wir wollen hier leben und gedeihen“, sagt Konrad zum Abschied.