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Geht gar nicht: Behördenchaos in Berlin

Flüchtlinge Der Behördenleiter des Lageso muss gehen, Sozialsenator und Regierender Bürgermeister dürfen bleiben: Die Hauptstadt präsentiert sich in der Flüchtlingsbetreuung als inkompetent und lernunfähig

Aus Berlin Susanne Memarnia

In Berlin hat die Krise um die Versorgung der Flüchtlinge einen ersten Rücktritt gefordert. Der Chef des zuständigen Landesamts für Gesundheit und Soziales (Lageso), Franz Allert, nahm am Mittwoch seinen Hut, nachdem der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) dies gefordert hatte. Eine „öffentliche Hinrichtung“ nannte CDU-Fraktionsvize Stefan Evers den erzwungenen Schritt.

Das Lageso, in Berlin zuständig für Registrierung, Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern, ist seit Monaten in der Kritik. Hunderte Flüchtlinge müssen sich in der Nacht vor dem Amt anstellen, um die Kostenübernahme für ihren Heimplatz verlängern zu lassen und Geld oder Krankenscheine zu erhalten.

Zwar gibt es inzwischen beheizte Zelte, trotzdem müssen die Menschen, oft auch Kinder, draußen in klirrender Kälte warten. Zudem werden viele am nächsten Tag unverrichteter Dinge wieder fortgeschickt, weil die überforderte Behörde nur knapp 200 Menschen pro Tag bedienen kann.

Dabei kommen inzwischen täglich nur noch rund 300 neue Flüchtlinge an, zu Spitzenzeiten im November waren es bis zu 800. Doch eine Entspannung ist bislang nicht zu erkennen. Die Neuankömmlinge müssen in miserabel ausgestatteten Notunterkünften wie Turnhallen oder den Hangars des ehemaligen Flughafens Tempelhof wochenlang warten, ehe sie überhaupt registriert werden und sich in die Warteschlangen am Lageso einreihen können.

Was genau in der Behörde schiefläuft, haben einige der inzwischen 300 zuständigen Lageso-Mitarbeiter anonym im Regionalfernsehen berichtet. So gebe es keinerlei Ordnungssystem für die Akten. „Deswegen gibt es bei uns auch den Job des ‚Suchers‘ – das sind Kollegen, die nur damit beschäftigt sind, die passende Akte zu finden.“

Hunderte Flüchtlinge müssen sich in der Nacht vor dem Amt anstellen

Zwar seien neue Mitarbeiter eingestellt worden, aber „niemand hat eine Einarbeitung bekommen, alle müssen sich im Alltagswahnsinn selber einfuchsen“, erzählt ein anderer.

Ein dritter berichtet, dass er seine Vorgesetzten gefragt habe, warum man jeden Tag 500 Flüchtlinge einbestelle, wenn man maximal 200 drannehmen könne. „Die Antwort lautet, dass das wohl an irgendeiner Richtlinie liegt, die wir einhalten müssen – pro forma“.

Sozialsenator Mario Czaja (CDU) verweist auf die Flüchtlingszahlen: Bis Mitte November habe Berlin mehr als 62.000 Flüchtlinge aufnehmen müssen, mehr als das Fünffache des Vorjahres. Doch der Koalitionspartner SPD übt zunehmend Kritik an seiner Arbeit. Vor vier Wochen forderte Müller unverhohlen Czajas Rücktritt: Wer sich der Aufgabe, die Flüchtlinge unterzubringen, „nicht gewachsen fühlt, sollte Platz machen“, so der Regierende Bürgermeister. Nach diesem Affront präsentierte sich Rot-Schwarz vorige Woche wieder einig und stellte die baldige Gründung eines neuen „Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten“ in Aussicht. Lageso-Chef Allert wäre damit ohnehin ab Frühjahr von allen Aufgaben im Flüchtlingsbereich entbunden worden. Ob sich durch seinen Rücktritt die Zustände verbessern, weiß selbst der Regierende Bürgermeister nicht. Im Abgeordnetenhaus sagte er am Donnerstag: „Niemand hat ein Patentrezept für diese schwere Aufgabe.“ Als erste Maßnahme würden in den kommenden Tagen die Zelte am Lageso auch nachts geöffnet bleiben.

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