Tu den Tannenbaum gut weg!

theater Armin Petras hat Ibsens „Nora“ im Auftrag des Deutschen Theaters für die Gegenwart der marktgesteuerten Welt umgeschrieben, Stefan Pucher inszeniert. Aber sie sind zu kurz gesprungen

Katrin Wichmann als Nora Foto: Marcus Lieberenz/Bildbühne

von René Hamann

Als ich versuchte, den übersetzten Text des Originalstücks von Ibsen fürs E-Book herunterzuladen, musste ich feststellen, dass es nur Bezahlversionen gab. Außer einer Freitextversion in der Gutenberg Galaxie gab es nur eine, die mir den Text ungefähr so anzeigte: »%f)vC ben Sannenüaum gut lücg, Helene«. Witzig, dachte ich. So hätte man Ibsens Original auch verfremden können.

Armin Petras (Text) und Stefan Pucher (Regie) haben sich für eine andere Verfremdung entschieden. Sie haben „Nora“ uraufgeführt 1879, für die Inszenierung im Deutschen Theater zweigeteilt. Die alte Version schimmert als Schwarzweißfilm über die Drehbühnenkulissen. Vorne spielen dieselben Schauspieler die neue Version, die irgendwie den gesamten Neoliberalismus-Diskurs beinhalten soll – im Programmheft sekundieren ältere Texte von Eva Il­louz und Byung-Chul Han –, de facto aber nicht viel mehr ist als die Prenzlauer-Berg-Version des Ibsen-Originals.

Der Rhythmus stimmt, die Drehbühne läuft wie geschmiert, und natürlich kommt auch diese Aufführung weder ohne Video noch ohne Musik aus: Theater als auferstandener Fünfziger-Jahre-Musikfilm, wo nach einer Handlungseinheit das passende Liedchen geträllert werden muss.

Kein Bruch mit der Versuchsanordnung

Die Kostüme von Annebelle Witt sehen ganz gut aus und korrespondieren mit den Kulissen: alles so schön lila irgendwie. Bis man darauf kommt, dass das Lila wohl auf den urfeministischen Aspekt des Stücks verweisen soll. Nora Helmer ist nämlich die Figur, die am Ende Kinder und Ehemann verlässt, weil sie es im bigotten Puppenheim zu Hause einfach nicht mehr aushält. Damals war das ein ziemlicher Skandal. Für die ersten Aufführungen musste Ibsen das Ende sogar umschreiben.

Heutzutage ist das immer noch nicht die Regel, aber auch kein Skandal mehr. Den totalen Bruch mit der Ibsen’schen Versuchsordnung trauen sich ­Petras/Pucher allerdings nicht zu. Bei Ibsen sind die Eheleute Helmer Prototypen der besitzenden Klasse, der Bourgeoisie. Torvald Helmer, Rechtsanwalt, soll bald zum Bankdirektor aufsteigen. Aber es gibt Schulden, Geheimnisse, ominöse Verstrickungen, die diese Zukunft akut gefährden könnten. Diese Basis lassen Petras und Pucher merkwürdigerweise völlig unangetastet.

Aber im heutigen Prenzlauer Berg wohnen keine Bankdirektoren, und Schuldscheine und Briefe sind eher Dinge aus dem Museum. Auch die Kostüme haben ein Problem: Seit wann läuft die Mittelschicht in Klamotten aus den siebziger Jahre herum?

Oder will uns die Aufführung sagen, dass außer ein paar nett aussehenden Retroelementen nichts mehr aus dem Ibsen-Stoff rauszuholen ist, in diesen Zeiten, in denen es um Finanzkrisen, Flüchtlingskatastrophen, Islamophobie und Terror geht? Aber wozu dann das Ganze aufführen?

Lieber in Schwarzweiß

Fast sehnt man sich danach, lieber gleich den Film zu sehen, der da über das Panoptikum flimmert. Da machen auch die Besetzungen mehr Sinn: Bernd Moss in Schwarzweiß zeigt zumindest den Anflug einer kalkulierten Kälte, aber als sich verzehrender Ehemann in der Figur des Torvald Helmer auf der Bühne überzeugt er doch leider so gar nicht. Man sieht alte Möbel, hochgesteckte Frisuren, Charaktere, die sich bedeutungsvoll langsam durch die Räume bewegen wie in einem Ingmar-Bergman-Film.

Für die ersten Aufführungen musste Ibsen das Ende sogar umschreiben

Im „On“ allerdings, also hier auf der Bühne des angeblich Realen, ist Nora (Katrin Wichmann) zwar hellblond, aber keine Skandinavierin, die an der Kälte, der Scheinheiligkeit und dem basalen Protestantismus leidet. Sondern eine berlinernde Exgöre, die sich nach drei Kindern eher wundern sollte, dass sie gleich von drei Männern begehrt wird. Die Kinder indes bleiben unsichtbar, so auch die Bediensteten des Hauses.

Die völlig in der Luft hängende Figur des Dr. Rank (Daniel Hoevels) wurde aber genauso belassen wie die des doppelten Nebenbuhlers Krogstad, den Moritz Grove als Mischung aus Barney aus „How I Met Your Mother“ und Steven aus „Die wilden Siebziger“ gibt, nur leider ohne deren Humor. Die einzige Figur, die halbwegs plausibel ins Jetzt geholt wird, ist die der Christine Linde (sehr gut: Tabea Bettin).

Der Besetzung aber kann man ihre Präsenz nicht absprechen, auch wenn diese Präsenz nicht immer zu den Rollen passt. Sie spielen sich alle ordentlich durch die Konstellation, die einfach nicht so recht aufgehen will. Da kann es noch so sehr weihnachten.

Denn schön ist ja, dass Ibsens „Nora“ tatsächlich auch ein Weihnachtsstück ist. Der Anfang, also der erste von Nora gesprochene Satz geht nämlich im Klartext so: „Tu den Tannenbaum gut weg, Helene.“ Und weiter: „Die Kinder dürfen ihn jedenfalls erst heut Abend sehen, wenn er geputzt ist.“

Wieder am 12./17. + 31. Dezember im Deutschen Theater