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Internationale Solidarität

Kurdistan Was gibt es Neues aus Rojava? Woran fehlt es aktuell und wie kann es weiter­gehen? Ein Gespräch mit YXK Berlin, dem Verband der Studierenden aus Kurdistan

YXK möchte Verständnis für die kurdische Frage und damit verknüpfte Konflikte ermöglichen Foto: yxkonline.com

Interview Sybille Biermann

Am Samstag ruft die Kampagne „Support Rojava“ zum bundesweiten Aktionstag auf. Am Kreuzberger Heinrichplatz werden bei einer Videokundgebung ab 16 Uhr die unterschiedlichen Facetten der Solidaritätsarbeit vorgestellt.

taz: Wie ist der Stand in Rojava?

Arîf: Positiv ist, dass es international eine Anerkennung in Form von militärischer Unterstützung durch die Anti-IS-Koalition gibt. Aber es gibt immer noch keinen humanitären Korridor. Auch vonseiten der Bundesregierung wird hier nichts unternommen. Das Effektivste, was man hierzulande zur Unterstützung also machen kann, ist Druck auf die Bundesregierung auszuüben – auch auf das PKK-Verbot.Du sprichst von der Blockade seitens der Türkei?

Arîf:Genau, dass die Grenzübergänge zu Rojava auf türkischer Seite für Güter geöffnet werden. Die südkurdische Regierung verhält sich an deren Grenzen ähnlich. Eine Öffnung ist für den Wiederaufbau Rojavas aber enorm wichtig. Momentan unterstützt man die Kurd*innen als militärische Kräfte, aber das Leben vor Ort wird nicht ermöglicht. Die Situation, wie sie jetzt ist, zwingt immer mehr Menschen zu gehen.

Auch in den USA besteht ein PKK-Verbot, dennoch wird Rojava unterstützt. Die Kollaboration erscheint einigen Linken suspekt. Wie seht ihr das?

Helin:Jede Hilfe ist gerade willkommen, aber wir beobachten das natürlich mit einem kritischen Auge.

Arîf: Die kurdische Bewegung hat Erfahrung damit, von verschiedenen Mächten gegeneinander ausgespielt zu werden. Auch deshalb ist man innerhalb der Rätedemokratie sehr um eine Zusammenarbeit mit allen Gruppen vor Ort bemüht. Nur durch einen solchen Zusammenhalt kann man sich Unabhängigkeit gegenüber externer Kräfte verschaffen.

Dem Drängen der USA, Rakka anzugreifen, ist man auch deshalb nicht entgegengekommen, weil man in der arabischen Stadt nicht als Besatzer auftreten will.

Arîf: Der Bewegung ist klar, zwischen welchen Machtblöcken sie gefangen ist. Bildung und Reflexion sind zentral in Rojava, man versucht kluge Politik zu machen. Also hat man sich entschieden, erst einmal Schingal zu befreien, um eine weitere Verbindung gen Rakka zu schaffen.

Amnesty International hat einen Bericht mit schweren Vorwürfen gegen die Verwaltung in Rojava veröffentlicht. Wie wirkt sich das aus?

Arîf: Wir waren sehr froh, dass in Rojava so schnell reagiert wurde. Auch die Bevölkerungsgruppen, die angeblich betroffen waren, haben sich mit einer Gegendarstellung zu Wort gemeldet. Es ist schade, dass Amnesty da anscheinend parteiisch war. Das ist gefährlich, denn so wird Zwist in eine Region getragen, die eigentlich Frieden schaffen will.

Gibt es unabhängige Kontroll­instanzen vor Ort, die Rechtsverletzungen überprüfen?

Arîf: Man ist allgemein sehr offen. Amnesty wurde auch ein zweites Mal eingeladen. Es gibt also in dem Sinne keine Intransparenz und man ist selbstkritisch. Es gab Fehlverhalten aber das wurde auch aufgearbeitet und entsprechend reagiert.

Arîf und Helin

Arîf Polat (28) lehrt an der FU, Helin Heval (25) studiert Soziale Arbeit an der ASH. Beide sind aktiv bei YXK Berlin, die den Aufruf der Kampagne „Support Rojava“ zum bundesweiten Aktionstag unterstützt. YXK (Yekîtiya Xwendekarên Kurdistan) ist seit 1991 der Dachverband der Studierenden aus Kurdistan in Europa.

Der Staatsvertrag in Rojava verbietet es, geflüchtete Menschen gegen ihren Willen abzuschieben. Wie funktioniert das?

Arîf: Ungefähr die Hälfte der Bewohner in Rojava sind aus anderen Regionen Syriens geflüchtet. Der Paragraf, der besagt, dass niemand gegen seinen Willen abgeschoben werden darf, ist einmalig. Die Frage, ob man Leute aufnimmt, stellt sich gar nicht, sondern wie man sie in das Leben und die Strukturen einbindet. Als Tall Abjad eingenommen wurde, hat man die Menschen bewusst eingeladen, nach Cizîre zu kommen und nicht in die Türkei zu fliehen.

Die Verpflegung zum Beispiel wird im Turnus von ansässigen Familien übernommen. Auch in Deutschland wird viel von Freiwilligen geleistet, was man aber eigentlich als staatliche Aufgabe sieht. Wie steht ihr dazu?

Helin: In Deutschland ist man zu sehr mit dem Staat verknüpft, die Strukturen zu einer Selbstverwaltung sind nicht gegeben. Dennoch ist das eine Überlegung wert.

Arîf: Ich sehe da gerade eine Chance zu lernen. Anstatt dem Staat einen Vorwurf daraus zu machen, dass er seinen Aufgaben nicht nachkommt, könnte man aus dieser Erfahrung auch lernen, wie stark gemeinschaftliches, selbstverwaltetes Handeln ist, ohne Staat.

Mehr zur Kampagne „Support Rojava“ gibt es auf deren Website unter support-rojava.org.

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