Ein paar Ausnahmen zu viel

VERSTOPFT In Paris sind die wichtigsten Straßen gesperrt, Busse und Bahnen überfüllt und die Blaulichter im Dauereinsatz. Die Pariser sind jetzt schon genervt

Klima-Demonstrant auf der Place de la République, wo eigentlich der Terroropfer gedacht werden soll Foto: Ian Langsdon/dpa

Aus Paris Rudolf Balmer

Die Klimakonferenz hat bereits am ersten Tag einen durchschlagenden Erfolg bei der Verminderung der Abgase erzielt. Dazu braucht es keine langen Reden und keine Demonstrationen. Die Angst vor dem großen Verkehrschaos hat gereicht. Statt den üblichen kilometerlangen Staus vor den Toren von Paris und den Wartezeiten – selbstverständlich mit laufendem Motor – gab es zum Wochenbeginn so wenig Verkehr wie selten. Dabei hatte man genau das Gegenteil erwartet: Chaos, wildes Hupen, Schimpfen und Schreien in der Blechlawine.

Wie hat die COP21 dieses Wunder vollbracht? Seit Tagen wurde die Bevölkerung von Paris und in den Vororten der Hauptstadt gewarnt: Ab Sonntag stehen alle Räder still. Die Pariser Ringautobahn des „Périphérique“, die wichtigsten Zufahrten im Norden und Süden von den beiden Flughäfen und sogar eine Straßenachse vertikal durch das Zentrum sind für den privaten Verkehr gesperrt. Sie sind reserviert für die VIPs der COP21. Solche Privilegien kommen in Frankreich schlecht an.

Schön und gut, auch wir sind für das Klima, sagten sich viele derer, die täglich zwischen der Innenstadt und den Außenquartieren pendeln. Doch wie sollen sie nun zur Arbeit oder in die Schule fahren? Zuerst wurde ihnen gesagt, auch die übrigen Straßen seien wegen der Sicherheitsvorkehrungen zu meiden. Auch das hätten die Betroffenen aus umweltbewusster Solidarität noch murrend geschluckt. Wenige Stunden später hieß es dann, während der Eröffnung der Klimakonferenz und der Ankunft der Delegationen aus 195 Ländern sei auf die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel zu verzichten. Langsam, aber sicher stieg der Pegel des Ärgers.

Über Rundfunk erdreistete sich dann die für öffentliche Ordnung zuständige Präfektur, den Bürgern zu raten, sie sollten doch am Montag am besten einen Tag freinehmen – Überstunden abbummeln. „Geht’s noch?“, schimpft die sonst so zurückhaltende Nachbarin, sie ist Uni-Professorin und muss ganz Paris durchqueren, um zu ihren StudentInnen an der Fakultät in Nanterre zu kommen. Andere schimpfen noch mehr über die „Zumutung“. Ihre Geduld hat Grenzen. Seit den Attentaten liegen die Nerven blank. Hinzu kommt: Über den Köpfen kreisen Hubschrauber, Polizeifahrzeuge rasen als Eskorte der Klima-Delegation ununterbrochen mit Blaulicht durch die Viertel.

Zu Hause bleiben und Überstunden abbummeln, riet die Präfektur den Parisern

Auch die Umweltorganisationen hatten anfangs Verständnis für die Sicherheitsvorkehrungen. Nun stellt sich aber her­aus, dass die Notstandsgesetze und das damit verbundene Demoverbot dazu benutzt werden, kritische Stimmen in der Klimadebatte zum Schweigen zu bringen oder gar alte Rechnungen mit einem Teil der Linken zu begleichen: „Wir haben den Eindruck, dass da absichtlich Sicherheitsfragen und politische Interessen vermischt werden“, sagt Jean-François Julliard von Greenpeace France. Als Beweis für den Missbrauch der Notstandsgesetze führt er an, dass da eindeutig mit zwei Ellen gemessen werde: In Paris sind zwar die Straßenkundgebungen zur COP21 verboten, nicht aber die Menschenansammlung auf dem Weihnachtsmarkt. Auch in La Rochelle durfte man nicht für das Klima demonstrieren, der Marathonlauf mit Tausenden Besuchern wurde aber nicht abgesagt.

Immerhin haben die Regierungsbehörden ein Argument gefunden, um das polizeiliche Vorgehen gegen die Gehorsamverweigerer und die Festnahme von 371 Personen am Sonntag zu rechtfertigen. Einige von ihnen sollen auf der Place de la République die Polizisten mit Kerzen und Blumentöpfen beworfen haben, die dort zum Gedenken an die Terroropfer niedergelegt worden waren. Ein Sakrileg. Deswegen herrscht nun Empörung auf der anderen Seite der „Barrikade“. Und Präsident Hollande stimmte ein: „Skandalös!“