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Der Witz fehlt nicht, aber der Aberwitz

Ausstellung Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt Jeppe Heins bislang größte Werkschau. „This Way“ möchte viele Wege eröffnen, ist dafür aber etwas zu eindimensional harmonisch

VON Brigitte Werneburg

„This Way“ steht über drei verschiedenen Türen, durch die Jeppe Heins Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg betreten werden kann. Ja, was denn nu? Geht’s wirklich hier lang? Oder nur um den Titel seiner bislang größten Werkschau? Wie der dänische Künstler auf dem Presserundgang erläutern wird, soll sich jeder seinen ganz eigenen Weg durch das Ausstellungslabyrinth aus großen und kleinen, drei-, vier- oder vieleckigen Räumen, aus Sackgassen, Promenaden, Kreuzungen und Plätzen bahnen. Die Aufforderung ist zugleich Ausstellungstitel und geht auf ein Schild zurück, das Jeppe Hein in Asien auffiel, weil es unter just diesen Worten zwei Pfeile zeigte, die in entgegengesetzte Richtungen deuteten.

Er selbst geht mit seinem Werk aber nur den einen Weg des Wohlgeruchs, Wohlklangs und Wohlgefühls. Man kann auch sagen, den Weg der Heilung. Wenn also schwere schwarze Kugeln, die an langen Seilen einer Schiene entlanglaufen und dabei an verschieden große Klangschalen auf unterschiedlich hohen Sockeln anstoßen (manchmal auch an die Besucher) und so verschieden hohe und tiefe Klänge hervorrufen, dann erscheint die Ausstellung im Klang des „Path of Frequencies“ (2013) weniger als Labyrinth denn als Tempel. Und es wundert die weiße Neonschrift – „Please Participate/Be Grateful/Meditate/Feel/Open Up/Try/Breathe/Forgive/Smile …“ (2015) – an der Wand nicht.

Tatsächlich bestimmen seit seinem Burn-out im Jahr 2009 Meditation, Aufmerksamkeits- und Atemübungen den Alltag von Jeppe Hein. Einer von Panikattacken begleiteten tiefen Erschöpfung folgte ein langer Selbstfindungsprozess, in dem spirituelle Praktiken und Yoga wesentlich waren. Unfähig zu arbeiten, begann der 1974 geborene Künstler seine Empfindungen, vor allem Ängste und Selbstberuhigungen, als Aquarelle zu dokumentieren. Einer Leitplanke gleich säumen 3.253 Zeichnungen das Raumgefüge der Ausstellung und rahmen die Vielfalt schon bekannter wie neuer Installationen.

Letztere nehmen alle Bezug auf seinen Weg aus der Depression und seiner Hinwendung zu fernöstlicher Spiritualität. So nutzt die Arbeit „Pulse“ (2013) eine Fingerklemme, die die Herzfrequenz misst, für eine bildliche Projektion eben des Herzschlags der BesucherInnen. Auch die Kerzenflamme, die im Innern einer leicht verspiegelten Glasstele brennt, verdankt sich einer Vorstellung des tantrischen Hinduismus und Yoga. Tritt man nahe vor die Stele, brennt die Flamme wie das „Third Eye“ (2014) auf der eigenen Stirn, als sechstes Chakra der sieben Hauptenergiezentren des Menschen.

Vom Boden bis in knapp 17 Meter Höhe steigt dann auch das „Chakra Enlightment“ (2015), das Rückgrat der Ausstellung in Form von sieben multidimensionalen Skulpturen aus hochpoliertem Edelstahl, zum Hallendach empor. Die „Chakra Mirror Balloons II“ (2015) schließlich, hoch über dem „Path of Frenquencies“ installiert, sind ein echter Kunstmarkthit. Keine Sammlerwohnung im Moment, in der das luftige Spielzeug nicht an der Decke schwebte, dessen Schnur unbedingt dazu verführt, es runterzuziehen − nur um verblüfft festzustellen, man hält allein die Schnur in Händen, der Ballon ist an der Decke festgeschraubt. Doch, Jeppe Heins Objekte haben durchaus ihre Tücken und ihren − allerdings sehr leisen − Witz.

Der Schriftsteller Peter Hoeg („Fräulein Smillas Gespür für Schnee“) schreibt in seinen Katalogbeitrag, Jeppe Heins Kunst lade zu Freundlichkeit unter den Menschen ein und sei damit entschieden politische Kunst. In Wolfsburg, wo am VW-Werk die weiße Flagge der Kapitulation hängt, mit dem Aufdruck: „Wir brauchen Transparenz, Offenheit, Energie und Mut. Vor allem aber brauchen wir: euch“, ist das nun besonders sinnfällig. Machten doch ein brüllender Martin Winterkorn und sein Apparat all diese Tugenden verächtlich. Er war ein Mr Fear, wie ihn Hein in den letzten Jahren wieder und wieder zu Papier brachte. Gegen die Aquarellwand „Fear“ (2014) stehen die vertikal nacheinander gesetzten, breiten Pinselstriche, das Ein- und Ausatmen mit Wasserfarbe gegen die Angst: „Breathing Watercolors“ (2015).

In alten Arbeiten ist noch eine Lust an der List der Apparate und der Anlagen spürbar

Für Kitsch zu durchdacht

Vieles deutet also darauf hin, dass „This Way“ allein in Richtung des Künstlers führt und nicht zur Kunst. So kann die Neoschrift auf Spiegelglas, „You Are Amazing Just The Way You Are“ sicher in eine lange, traditionsreiche Ahnengalerie des Künstlerselbstporträts gestellt werden – und gleichzeitig den Verdacht schüren, es handle sich hier, wie vieles sonst, um Eso-Kitsch. Für Kitsch freilich sind Heins Konzepte zu durchdacht und maßstabsgerecht. Das zeigt der Duftkorridor „Smells like … Stillhet“ (2014), den der Künstler mit dem Parfümeur Geza Schön entwickelte. Der Geruch, der Stille signalisieren möchte, ist beim Gang durch den Korridor kaum, dafür umso angenehmer spürbar. Tatsächlich als Ruhe, die einen erfüllt, und keineswegs als Duft, den man riecht.

Was „This Way“ fehlt, ist nicht Witz, sondern Aberwitz. Was fehlt, sind Übertreibung, Zuspitzung. Anarchische Abwege, wie sie mechanische Konstruktionen der Art, wie sie Jeppe Hein entwickelt, nahelegen. Er schöpft die Dimensionen seines Werks künstlerisch und intellektuell nicht aus. In den alten in Wolfsburg gezeigten Arbeiten, wie der zerstörerischen Stahlkugel „360° Presence“ (2002), der aggressiven Flamme „Bear the Consequences“ (2003) und der vulkanischen „Smoking Bench“ (2002), ist noch eine Lust an der List der Apparate und der Anlagen spürbar. Sie gälte es wiederzufinden. Und den Pfeil, der „This Way“ sagt, wo doch der entgegengesetzte das ganz Gleiche sagt.

Bis 13. März, Kunstmuseum Wolfsburg, Katalog (ab dem 11.Dezember) 38 Euro

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