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Diesmal stehen wir zusammen

Frankreich Nach einem Großeinsatz der Polizei ist der Hauptverdächtige nach wie vor nicht auffindbar. Viele Bewohner des Pariser Vororts Saint-Denis sind verunsichert

Große Razzia: Soldaten im Einsatz nahe dem Stade de France, Saint-Denis Foto: Thibault Camus/ap

aus Paris Rudolf Balmer und Sebastian Erb

Bei einer Polizeiaktion gegen mutmaßliche Terroristen sind am frühen Mittwochmorgen fünf Personen festgenommen worden. Zwei weitere wurden getötet, darunter eine Frau, die bei der Explosion eines Sprengstoffgürtels umkam.

Die Belagerten hatten sich in der Wohnung in einem Abbruchhaus an der Rue de la Ré­publique verschanzt und waren offenbar auf einen Angriff vorbereitet. Sie leisteten bewaffneten Widerstand. Erst um 7.30 Uhr riskierten es die Mitglieder der Elitetruppe Raid, in die Wohnung vorzudringen.

Die Antiterrorpolizei hoffte insbesondere, den eigentlichen Organisator und Auftraggeber der Terrorwelle, den Belgier Abdelhamid Abaaoud, zu finden. Dieser Terrorist des sogenannten Islamischen Staats (IS) soll aus Syrien nach Europa zurückgekehrt sein, um persönlich die Anschläge vom Freitagabend zu leiten. Abaaoud wird bereits wegen mehrerer terroristischer Verbrechen mit internationalem Steckbrief gesucht. Laut bisherigen Erkenntnissen befand er sich weder unter den Festgenommenen noch unter den beiden Toten von Saint-Denis.

Zum Versteck der mutmaßlichen Terroristen führte eine Spur vom Freitag: In einem Müllsack in der Nähe des Pariser Konzertsaals Le Bataclan war ein Mobiltelefon entdeckt worden. Darauf befand sich ein Plan des Konzertsaals und eine SMS: „Wir gehen los, wir beginnen.“ Der Standort des Empfängers wurde lokalisiert, das Haus überwacht. Der Verdacht, dass dort weitere Terroristen versteckt sein könnten, bestätigte sich. Nach noch unbestätigten Informationen soll die Gruppe ein weiteres Attentat auf das Bürohausviertel La Défense geplant haben. Fest steht inzwischen auch, dass an den Pariser Anschlägen mindestens eine weitere Person beteiligt war.

Die Polizeiaktion hat auch die Bevölkerung aufgeschreckt. Jose, Ende 60, wurde von dem Einsatz aus dem Schlaf gerissen. Er wohnt knapp 100 Meter vom Ort des Geschehens entfernt. Er habe Explosionen gehört, berichtet er. „Als ich aus dem Fenster schaute, waren überall Polizisten, Soldaten und Feuerwehrmänner.“ Im Fernseher sagten sie, bleiben Sie zu Hause. „Also blieb ich da.“ Erst gegen halb eins konnte er seine Wohnung verlassen. Jetzt steht er neben der ­Polizeiabsperrung und schaut ins Leere. „Ich hätte das nie gedacht, dass es nun auch hier passiert“, sagt er leise. „Wir haben Angst. Wir wissen ja nicht, wie viele es von denen hier noch gibt.“

Als die Polizei die weiträumige Absperrung lockert, rennen Hunderte Journalisten und Schaulustige durch die Fußgängerzone in Richtung der Wohnung, die am Morgen gestürmt wurde. Die Rolltore der Geschäfte sind heruntergelassen, einige Anwohner schauen von ihrem Balkon herab, manche lassen Kameraleute hinauf. Bis auf eine Querstraße kommt man nun an den Tatort heran. Zwei Polizeibusse versperren die Sicht, einige Beamte halten die Menge auf Abstand.

Ganz vorn am ­schwarz-gelben Flatterband steht Rabah, 42, Jeans, Sonnenbrille, mit ein paar Bekannten. Sie wohnen in der Nähe. „Das ist Krieg“, sagt er, „es ist so unwirklich.“ Er sei selbst Muslim, vor 10 Jahren aus Algerien eingewandert: „Aber hier trinken die meisten Muslime Bier.“ Wir sind keine Extremisten, will er damit sagen, wir haben mit denen nichts zu tun. Die Konsequenz ist für ihn klar: Jetzt müssten weltweit alle zusammenarbeiten, um die Terroristen zu bekämpfen. Die harte Linie, die Präsident Hollande nun fährt, sei genau richtig. Und für Saint-Denis hofft er, dass der Ort nun nicht mit einem negativen Stempel behaftet bleibt. „Es gibt doch überall böse Menschen.“

„Wir wissen ja nicht, wie viele es von denen hier noch gibt“

Jose, Bewohner von Saint-Denis

Die patriotische Solidarität der ersten Stunden und der politische Burgfrieden angesichts der Bedrohung sind schnell brüchig geworden. In der Debatte über eine von Präsident Hollande angekündigte Verschärfung der Sicherheitspolitik und die verfassungsrechtliche Revision der Notstandsgesetze sind die Parteien aneinander geraten. Sprecher der bürgerlichen Opposition machten am Dienstag in der Nationalversammlung Hollande und seine Linksregierung für Versäumnisse nach den Anschlägen im Januar verantwortlich. Pre­mier­minister Manuel Valls erwiderte, die heutige Opposition habe vor 2012 mit einem Personalabbau die Sicherheit geschwächt. Die französische Öffentlichkeit dürfte sich zudem fragen, ob es der richtige Zeitpunkt ist für solche Querelen, in denen es mehr um wahlpolitische Interessen, als um den Schutz der Bürger geht. Noch ist nicht klar, ob die Opposition in der Parlamentsdebatte für die Notstandsvorlage und für eine Revision der Verfassung stimmen wird.

Dabei ist allen klar, dass die ganze Gesellschaft mit ihren Grundwerten im Visier der Terroristen steht. Keine Spaltung geht dieses Mal durch die Banlieue. Als Charlie Hebdo attackiert wurde, monierten in diesen Vorstadtsiedlungen nicht nur junge Muslime, das Satiremagazin habe sich die Tragödie wegen der angeblich blasphemischen Karikaturen selbst zuzuschreiben.

Am Freitag wird in den 2.500 Moscheen und Gebetssälen Frankreichs ein „feierlicher Text“ des repräsentativen Rats der Muslime Frankreichs verlesen, in dem die Gewalt der Dschihadisten verurteilt wird.

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