: Realität des Sterbens
Journalistinnenmord Das Staatstheater in Oldenburg bringt ein Theaterporträt der ermordeten Anna Politkowskaja auf die Bühne
Eine renitente Krawallschachtel? „Nein, ein ernsthaft suchender, still nachdenklicher Mensch.“ Eine Heldin? „Nein, aber bewundernswert in der Leidenschaft für ihren Beruf und der Konsequenz ihrer investigativen Arbeit.“ Das sagt Dramaturg Marc-Oliver Krampe über Anna Politkowskaja, der die deutschsprachige Erstaufführung des 2007 entstandenen Stücks „Eine nicht umerziehbare Frau“ am Staatstheater Oldenburg gewidmet ist.
Darin porträtiert Autor Stefano Massini die russische Journalistin, die 48-jährig in Moskau regelrecht hingerichtet wurde – heute, neun Jahre später, sind die Hintermänner des Auftragsmordes noch immer nicht ermittelt. In Frage kämen einige, denn Politkowskaja war Korrespondentin der unabhängigen Zeitung Novaja Gazeta im zweiten Tschetschenienkrieg und verwies unbeirrbar unparteiisch auf Korruption, Folter, Vergewaltigungen, Verschleppungen, Erschießungen, auf Massengräber und den Handel mit Leichen.
Warum das heute auf die Bühne muss? In Oldenburg wird an aktuelle Pressemitteilungen erinnert: Amnesty International zählt immer noch in 101 Staaten der Erde massive Verstöße gegen die Pressefreiheit, seit 2006 sind nach einem Bericht der UN-Kulturorganisation Unesco 700 Journalisten wegen ihrer Arbeit umgebracht worden: „Verbrechen gegen die Weltöffentlichkeit“ nennt das der Deutsche Journalistenverband (DJV).
Andererseits ist Moskau weit weg von Oldenburg, oder? „Das glaube ich nicht“, betont Krampe, „staatliche Repression und Unfreiheit kommen bei uns nur nicht so grob und klar wie in Russland, sondern eleganter rüber.“
In den Monolog eingebettet sind Berichte der Reporterin und Dialoge mit Beteiligten und Betroffenen des Krieges. Regisseurin Felicitas Braun verteilte den Text auf drei Schauspielerinnen. So seien Melodie und Rhythmik der Sprachpartitur stimmlich gut zu instrumentieren, betont Krampe, und inhaltlich zu strukturieren.
Was ist das Besondere an Politkowskajas Journalismus? „Sie schrieb nicht verschwurbelt, sondern nüchtern direkt, akribisch genau, so objektiv wie möglich über die Auswirkungen des Konflikts, sie nannte Taten und Täter“, behauptet der Dramaturg. Radikal die Realität des Sterbens in Tschetschenien vermittelt zu bekommen, das schreckte und schreckt auch ab – nicht weil man es nicht wissen will, sondern es nicht erträgt. „Solche Ablehnungshaltungen wollen wir durchbrechen“, erklärt Krampe, „also nicht schockieren oder deprimieren, sondern Verhältnisse beleuchten, in denen Krieg die Normalität darstellt.“
Wie in Politkowskajas Erinnerungen an Kindertage bei Tante Vera: Die „nahm also das Huhn, rupfte es, und um die Federkiele zu entfernen, benutzte sie die Gasflamme auf dem Herd, um damit auch das Fleisch schon leicht anzubraten“. … ein Geruch, den die Journalistin in den Kriegsgebieten wieder wahrnimmt. Ihr wird klar, „dass Tschetschenien heute auch das ist: verbrannte Leute, wie die Hühner von Tante Vera.“
Zum Nachvollziehen des Erlebens könne man das nun jeweils betroffen sprechen oder zerrüttet darstellen, so Krampe: „Mich aber erschüttert es tausendmal mehr, wenn es nicht sofort niederschmetternd, sondern in seiner Alltäglichkeit rüberkommt.“ Deswegen sei auch Multiinstrumentalistin Solène Garnier dabei. Sie soll den Stoff leichter machen, um tiefer schauen zu können. Dabei versinnlicht Garnier das Tropfen mit ihren Klängen. Betont den poetischen Charakter des Textes. Gerade wegen der Grausamkeit. Ein Balanceakt. Spannend.Jens Fischer
Do, 12. 11., 20 Uhr, Oldenburgisches Staatstheater. Weitere Aufführungen: 14. 11., 22. 11.
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