: Großmeisterin der Selbstentblößung
LIEDERMACHERIN Den einen ist sie zu gefühlig, die anderen sehen ihre Songs als aufrechten humanistischen Appell: Maike Rosa Vogel veröffentlicht ihr neues Album „Trotzdem gut“
von Thomas Winkler
Zum Glück ist sie wieder da. Drei Jahre war Maike Rosa Vogel weg. Drei Jahre, in denen sich die Welt ziemlich verändert hat. Drei Jahre, in denen es keine neuen Lieder gab von ihr, an denen man sich festhalten, aufrichten, wieder geradeziehen hätte können in einer Welt, die aus den Fugen zu geraten scheint. Lieder, wie sie nur Maike Rosa Vogel schreibt und singt. Solche wie „Back From War“, den schönsten, menschlichsten, anrührendsten Song, den man zum Thema Flüchtlinge hören wird – heute, morgen und auf längere Zeit. In dem Lied singt Vogel darüber, dass man weinen muss, wenn man etwas allzu Schönes sieht; dass man weinen sollte allein aus Dankbarkeit dafür, dass man noch am Leben ist. Sie fragt sich singend, wie es sein muss, aus dem Krieg zurückkehrend, zum ersten Mal wieder Musik zu hören oder den ersten Sonnenstrahl im Park zu spüren. Sie singt: „Wir bilden uns falsche Mauern ein, es ist genug für alle da.“
Ein Versuchsballon
Das Lied von der Menschlichkeit, die unverhandelbar ist, steht gleich am Anfang von „Trotzdem gut“, dem neuen Album der Musikerin, die man getrost Liedermacherin nennen darf. Denn am Ende ist es das, was die 37-jährige Frankfurterin, die seit Mitte der nuller Jahre in Berlin lebt, macht: Lieder. Lieder aus einfachen Akkorden, die sie auf der Gitarre anschlägt, mit einfachen Worten dazu, die im Innersten des Hörers etwas anschlagen.
Vogel war schon immer die Großmeisterin der Selbstentblößung. Noch nicht so sehr auf ihrem Debütalbum „Golden“ von 2008, aber umso radikaler drei Jahre später auf „Unvollkommen“ und ein weiteres Jahr darauf auf „Fünf Minuten“. Nun, auf „Trotzdem gut“ ist sie, die von sich selbst sagt, dass sie nicht lügen kann, nicht im Alltag und erst recht nicht in ihren Liedern, wohl so ehrlich wie nie zuvor. Der Grund: „Trotzdem gut“ ist so unabhängig und autonom entstanden wie möglich. Vogel hat sich keine Plattenfirma und keinen Vertrieb gesucht, nicht mal eine Agentur, die die Promotion übernimmt. Sie verkauft das neue Album nur auf Konzerten und über die eigene Website, Amazon verdient nichts mehr an ihr. Sie finanziert und organisiert alles selbst. Es ist „ein Versuchsballon“, um „so Musik zu machen, dass man wieder Spaß an der Musik hat und sich nicht so viel beschäftigt mit all den Dingen, die man nicht will“.
Nur im Studio hat wieder einmal, wie schon bei den beiden vorherigen Platten, Sven Regener geholfen. Aber der Einfluss des Sängers von Element of Crime war, auch wenn er offiziell als Koproduzent neben Vogel gelistet wird, so klein wie nie zuvor. Sie hat sich, sagt sie, endlich vollkommen durchgesetzt, auch gegen Regener. „Meine Musik ist für mich immer etwas sehr Persönliches gewesen, es hat mir oft Schmerzen bereitet, mir von anderen reinreden zu lassen.“ Die Entscheidung, „einfach alles alleine zu machen“, sei „erst sehr befreiend und dann sehr beängstigend“ gewesen. Inzwischen überwiege die Befreiung.
Diese Befreiung kann man hören. In den Texten, in denen Vogel nicht nur von schnellem Sex und schlechten Drogen singt, nicht nur mit schmerzender Offenheit vergangene Beziehungen seziert oder ihre nackten Zehen ins kalte Wasser taucht, sondern eben auch die Liebe zu ihren beiden Kindern mit dem Zustand der Welt verschränkt – und so gesellschaftlich noch relevanter wird, als man es von ihr eh schon kennt. Vogel hat schon einen autobiografischen Song über ein Dasein als Hartz-IV-Empfängerin geschrieben und sie hat immer wieder das richtige Leben im falschen thematisiert. Auf „Trotzdem gut“ setzt sie diesen Weg nun fort, wird im Einzelfall etwas konkreter, vor allem aber interpretiert sie das Private so politisch wie nie zuvor. Das gilt nicht nur für das großartige „Back From War“, sondern auch für Songs wie „Die Welt ist schlecht“ oder das bedrückende „Für mich auch“, in dem eine zu Ende gehende Liebe zum Keim eines neues Krieges wird.
So ist er, der Mensch in den Liedern von Maike Rosa Vogel, nicht immer allein, aber doch verloren in der Welt. Wenn er nicht allein ist, dann hat er die Liebe gefunden. Wenn er allein ist, dann hat er sie bloß verloren. Aber immer, immer gibtes die Hoffnung, sie wiederzufinden. „Ich will, dass Menschen sich trauen, menschlich zu sein“, sagt Vogel. „Wenn meine Musik überhaupt etwas will, dann das.“
Erklärte Antiperfektionistin
Man kann das kitschig finden. Einige tun das ja auch. Denn Vogels Lieder lassen niemanden kalt und viele können sie nicht ertragen, weil sie in ihrer radikalen Gefühligkeit den Hörer auch angreifen. Ihn fragen: Fühlst du das auch? Fühlst du überhaupt noch? Aber so wie die, nach Selbsteinschätzung, „erklärte Antiperfektionistin“ ihre Lieder singt, so unvermittelt und ungeschönt, sind sie vor allem wahrhaftig. Verstärkt wird das noch durch die Protestlied-Ästhetik, die Vogel auch auf „Trotzdem gut“ vornehmlich nutzt: die schallend angeschlagene Akustikgitarre, über der sie mit klarer, heller Stimme deklamiert. Mit einer Stimme, die manchmal heiser wirkt und so eine bohrende Intensität schafft. Gelegentlich wird dieser spartanische Ansatz – wie auch früher schon – ergänzt durch Regeners Trompete.
Doch diesmal gibt es mit „Ich sing für Dich“ sogar ein Lied, dessen Umsetzung man orchestral nennen könnte. Vogel singt fröhlich und trotzig von der unbegrenzten Liebe, aber auch von Schmerzen und Tränen, und vielleicht handelt das Lied auch von jemandem, der stirbt, aber vor allem handelt es davon, dass so ein Lied immer helfen kann, während die Mariachi-Bläser jubilieren. Auch das funktioniert. Sogar besonders gut. Denn so verzweifelt und verzagt klingt Maike Rosa Vogel da, aber auch positiv und aufgeräumt und optimistisch. „Ich sing für Dich“, singt Vogel, und natürlich meint sie uns alle. Zum Glück ist sie wieder da.
Thomas Winkler
Maike Rosa Vogel: „Trotzdem gut“, erhältlich unter www.maikerosavogel.com, live: Privatclub, 18. 11., 19 Uhr, 14 Euro
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