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Kunst der Montage

Ausstellung Die Dadaistin Hannah Höch war vor 100 Jahren Pionierin auf dem Gebiet der Collagekunst.Eine Ausstellung im Kunsthaus Stade verknüpft unaufdringlich Lebensweg und künstlerischen Werdegang

von Frank Keil

Da hängt sie! Die Katze mit der Maske, lang ausgestreckt, den Kopf mit offenen Maul garniert, in Schwarz-Weiß. Vielleicht das bekannteste Werk Hannah Höchs. Ihre aus Schnipseln zusammengesetzten Frauengesichter kennt man noch, ihre collagierten Zeitbildnisse aus Fotos und Buchstaben, die uns heute als Kunstform so selbstverständlich sind. Aber was weiß man sonst über Hannah Höch, außer dass sie die einzige Frau in dieser wüst-wilden Männer-Clique um Hugo Ball war, die im Februar 1916 im Züricher „Cabaret Voltaire“ die Möbel und noch mehr die Kunst geraderückte?

Die Stader Ausstellung „Vorhang auf für Hannah Höch“ – ein Titel, der Motto ist – bietet aus Anlass des 100-jährigen Dada-Jubiläums eine gute Möglichkeit, sie gründlich kennenzulernen. Man geht zunehmend gut gelaunt durch die drei Etagen des angenehm schiefen Fachwerkhauses. Umso mehr, weil die von Luisa Pauline Fink sehr sorgsam kuratierte Ausstellung es vermag, Höchs Lebensweg und ihre künstlerischen Produktionen und Werkphasen sanft miteinander zu verbinden, ohne dass diese Verknüpfung je aufdringlich didaktisch daherkommt.

Im Gegenteil: Man schaut auf die Collagen und Bühnenentwürfe, auf die zarten und zugleich eindringlichen Zeichnungen, entdeckt die überraschend wuchtige Malerei und beginnt sich immer mehr für die Person dahinter zu interessieren. Und umgekehrt.

Bilder aus Schnipseln

Am 1. November 1889 wird Hannah Höch in Gotha geboren, wächst dort auf. Es drängt sie aus der Kleinstadtenge, in Berlin will sie Kunst studieren, doch der Weg in die Akademie ist ihr verbaut: Sie ist schließlich eine Frau! Ihr bleibt nur der Gang auf eine Kunstgewerbeschule und sie macht das beste daraus: lernt viel Handwerkliches, lernt Abbildungstechniken, die bei ihr Ausdruckstechniken werden.

Ihr Geld verdient sie als Entwurfzeichnerin beim Ullstein-Verlag. Und hat dort mit nichts anderem mehr zu tun, als mit Zeitungsseiten voller Buchstaben und Sätze und vor allem Fotos und grafischen Elementen und Versatzstücken. Der Grundstock für ihre Collagekunst, die sie maßgeblich im Kunstkontext etabliert, wird dort gelegt: Ein Bild muss nun nicht länger allein gemalt sein; es kann genauso gut aus Zeitungsschnipseln bestehen, angereichert durch wenige, aber gekonnte Zutaten.

Dann geht alles schnell: 1917 gehört Hannah Höch zu den Gründungsmitgliedern von Richard Huelsenbecks Berliner Dada-Gruppe. Aber bei aller Kritik am etablierten Kunstbegriff interessiert sie sich weniger für das Spektakel als für eine neue, durchaus feinsinnige Ästhetik – ähnlich wie Kurt Schwitters, mit dem sie jahrzehntelang befreundet sein wird.

Als ihre Verbindung mit ­Raoul Hausmann endet, löst sie sich aus dem Dada-Zirkel, geht ihren eigenen Weg. Für den Sommer 1932 ist am Bauhaus in Dessau eine große Einzelausstellung geplant, die helfen könnte, ihre Position zu festigen. Doch dann übernehmen in Thüringen die Nazis die Landesregierung, ihre Vertreter beantragen in der Dessauer Gemeindevertretung, das Bauhaus zu schließen. Dem wird zugestimmt, Höchs Ausstellung abgesagt.

Eigener Weg

In den kommenden Jahren emigrieren alle ihre Kunstfreunde, nur sie bleibt. Schaut sich mehrfach die Ausstellung „Entartete Kunst“ an, wo ihre Mitstreiter allesamt vertreten sind. „Dass sie nicht dabei war, lag mit daran, dass die Nazis sie als Frau nicht ernst nahmen“, sagt Kuratorin Fink. Höch zieht an den Stadtrand, heiratet, nimmt einen anderen Namen an, aber die Ehe scheitert schnell. Ihr Garten ernährt sie und das Florale findet immer wieder seinen Platz auch in ihrer Kunst. Widerstrebend wird sie Mitglied der Reichskunstkammer – anders kann sie keine Malutensilien, kein Material kaufen.

Und sie fängt an zu malen, überträgt ihre Collage-Haltung mit dem Pinsel auf die Leinwand. Es entstehen ungewohnt symbolbeladene, fast schwere Bilder. Höch arbeitet im Stillen, fragt sich immer wieder, ob das, was sie tut, eigentlich irgendeinen Sinn ergibt. Zugleich hält sie Kontakt zu ihren emigrierten Künstlerfreunden, verwahrt, was diese nicht mitnehmen konnten, vergräbt es zum Teil im Garten. Ängste plagen sie.

Später überträgt Hannah Höch ihre Collage-Haltung mit dem Pinsel auf die Leinwand. Es entstehen ungewohnt symbolbeladene, fast schwere Bilder

1945 ist sie wieder da, auch weil die alten Freunde wiederkommen und sich holen, was sie für sie verwahrt hat. Raoul Hausmanns „Mechanischer Kopf“ etwa, der heute im Centre Pompidou hängt.

Dekonstruktion mit Collage

Zugleich ist Höch immer wieder Anlaufstelle, wenn die nachwachsenden Künstlergenerationen sich historisch verorten wollen: „Die Fluxus-Leute aus Amerika etwa kamen zu ihr, um zu erfahren, was es damals mit dem Dada auf sich gehabt habe.“ Sie selbst setzt ihr Collagenwerk fort, nun auf der Basis der neuen Lifestyle-Illustrierten in Farbe und auf Hochglanzpapier. Ganz wunderbar sind ihre Arbeiten aus den 1960er-Jahren, in denen sie erneut das bald gängige Bild der neuen modernen Frau mittels Collage dekonstruiert.

Obwohl sie immer wieder in Ausstellungen vertreten ist, ist es finanziell nicht einfach für sie. Das ändert sich erst, als der Berliner Senat ihr 1976 eine Ehrenprofessur verleiht und ihr damit ein Auskommen für ihre verbleibenden zwei Lebensjahre garantiert.

Eines der zentralen Fotos im Stader Kunsthaus zeigt sie als ältere Frau mit verlässlich kurzem Haar, ergraut, aber dicht und schön. Und sie schaut mit dem rechten, sehr vergrößerten Auge durch ein Lupenglas auf die Welt. Keine schnöde Attitüde übrigens: Hannah Höch hatte sich Anfang der 50er bei der Gartenarbeit am Auge verletzt, hatte zunehmend mit Sehproblemen zu kämpfen und brauchte beim Arbeiten genau diese Lupe.

„Vorhang auf für Hannah Höch“: bis 21. Februar 2016, Kunsthaus Stade

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