: Lieber sterben als zurück
Asyl Das lange Warten für Flüchtlinge aus Afghanistan im Asylverfahren
Von den knapp 275.000 Asyl-Erstanträgen, die in Deutschland seit Beginn des Jahres bis Ende September gestellt wurden, kamen 16.000 Flüchtlinge, das sind 5,8 Prozent, aus Afghanistan. Berlin wurden davon im ersten Halbjahr 2015 knapp 500 Personen zugeteilt. Die Anerkennungsquote im Asylverfahren liegt bei AfghanInnen bei etwa 10 Prozent. Bislang hat Deutschland jedoch auch abgelehnte AsylbewerberInnen aus dem Kriegsland nicht dorthin zurückgeschickt. Sie durften als Geduldete bleiben: ein kurzfristig erteilter Aufenthaltsstatus, der jederzeit veränderbar ist.(akw)
Für Mohamad (Name geändert) ist die Sache klar: Lieber sterbe er, als nach Afghanistan zurückzugehen. Vor sechs Monaten hat der 22-Jährige seine Heimatstadt Masar-i-Scharif in Nordafghanistan verlassen, seit Anfang September ist er in Berlin. Das Geld für die Flucht hat er sich unterwegs im Iran und in der Türkei verdient.
Seit seiner Ankunft in Berlin hat Mohamad erst einen der vielen komplizierten Schritte seines Asylverfahrens absolvieren können: die Erstregistrierung beim Berliner Lageso, das Flüchtlinge unterbringt und versorgt. Das hat ihm zunächst immerhin einen Schlafplatz in einer Notaufnahmeeinrichtung, ein BVG-Ticket und etwas Taschengeld verschafft. Sein Termin für die vollständige Registrierung als Asylsuchender in Berlin ist erst Ende Dezember. Und wann er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Gründe für seinen Asylantrag vortragen kann, steht ganz in den Sternen. Derzeit warten AsylbewerberInnen, die nicht aus Syrien kommen, auf Termine dort in der Regel länger als ein Jahr.
Wann der junge Afghane mit den kurz geschorenen Haaren also Gewissheit darüber haben wird, wie sich seine Zukunft gestaltet, ist ungewiss. Drei bis fünf Jahre, manchmal sogar acht, könne es dauern, bis Asylverfahren mit allen Widerspruchsmöglichkeiten beendet seien, sagt Tahera Maiwand-Grevemeyer, die aus Afghanistan stammt und seit Jahrzehnten in Deutschland lebt. Im Verein iranischer Flüchtlinge am Neuköllner Reuterplatz berät sie AsylbewerberInnen aus Afghanistan – auch Mohamad.
Sicher ist im Moment nur: Er wird die Wartezeit in Angst verbringen. Denn anders als bisher will Deutschland nun abgelehnte Asylbeweber aus Afghanistan dorthin abschieben. Die EU-Kommission verhandele derzeit – auf Drängen Deutschlands – mit Kabul über ein „Rücknahmeabkommen“, erklärte Bundesinnenminister Thomas de Maizière kürzlich.
Für Mohamad und seinen Freund Oumid (Name geändert), der ebenfalls in Frau Maiwands Beratungszimmer sitzt, eine unerklärliche Entscheidung: „Jede Minute haben wir in Afghanistan Angst um unser Leben gehabt“, sagt Mohamad: „Hier können wir zur Ruhe kommen und vor allem: etwas aus unserem Leben machen.“ Das sei in Afghanistan unmöglich. Denn seit 40 Jahren herrsche Krieg in dem Land, ergänzt der 25-jährige Oumid. Wer aus Afghanistan flüchte, sagen beide deshalb, tue das nicht „aus Lust und Laune“: „Es ist sehr schwer, bis hierher zu kommen.“
Oumid, der einen Uniabschluss hat, sucht bereits nach Auswegen: vielleicht Italien? Freunde von ihm seien dort hingegangen in der Hoffnung, dann nicht abgeschoben zu werden. Mohamad berichtet von Freunden, die sich zur freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan entschlossen hätten. Das kommt für ihn nicht infrage: „Lieber sterbe ich!“ Alke Wierth
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