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CROSSOVER Die Sängerin und Komponistin Cymin Samawatie erweitert Klassik und Jazz zu einem „Diwan der Kontinente“, um mit Musiktraditionen zu improvisierenKraft der Nachtigall

Vermischt Jazz mit klassischer persischer Lyrik und Kammermusik: Cymin Samawatie Foto: Kai von Rabenau/ECM

von FRANZISKA BUHRE

Mitternacht ist bereits vorüber im dunklen Treptower Park in Berlin. Von oben tönen Nachtigallen ihren lebhaften Gesang, am Boden erheben sich die Stimmen schemenhafter Gestalten mit den Vögeln zu einem hybriden Chor. Eine persische Liedzeile weht über die reglose Versammlung und zieht sich wieder in die Dunkelheit zurück, eine Bassklarinette lenkt ihren Ton behutsam zwischen die Vogellaute.

Cymin Samawatie singt in dieser Nacht im Mai auf Einladung des Musikers, Komponisten und Tierlautforschers David Rothenberg an der Schwelle zum Lebensraum stimmbegabter Wesen. Eigens für diesen Anlass hat sie Verse der persischen Dichter Saadi und Hafis aus dem 13. und 14. Jahrhundert ausgewählt, die von Nachtigallen erzählen. Deren Lyrik verleiht sie erst eine Stimme, seitdem sie als Jazzsängerin ihre eigenen Projekte verwirklicht.

Die Beschäftigung mit persischer Dichtung war für die Tochter iranischer Einwanderer keineswegs naheliegend. Weil sie aber das Grundbedürfnis hat, immer wieder die behagliche Zone der eigenen Musikpraxis zu verlassen, begibt sie sich auch in die konkrete musikalische Umgebung persischer und arabischer Texte.

Für die 21 MusikerInnen aus Jazz, klassischer, und traditioneller Musik verschiedener Kulturen, die Samawatie in ihrem „Diwan der Kontinente“ zum Jazzfest Berlin versammelt, bedeutet die Infragestellung von Gewohnheiten heimischer Genres manchmal Glatteis. Aber sie alle lassen sich auf die charismatische Bandleaderin ein, die nun das Klangspektrum der bereits vorhandenen Instrumentengruppen auffächert und er­gänzt. Den Kern bilden die Jazzmusiker Ralf Schwarz und Ketan Bhatti an Kontrabass und Schlagzeug, beides Mitglieder in Samawaties 2002 gegründetem Quartett Cyminology, das persische Lyrik in eine zeitgenössische Klangsprache überträgt. Neu aus dem Jazz zum „Diwan“ hinzugestoßen sind der Bassklarinettist Lars Zander, der Alt­saxo­fonist Christian Weidner und die Sängerin Defne Şahin. Pianist Niko Meinhold und der Posaunist Hilary Jeffery vertreten eher die freie Improvisationsszene der Hauptstadt und Tilmann Dehnhardt spielt im „Diwan“ nicht Saxofon, sondern Bassflöten. Bhatti, Zander und Dehnhardt nutzen zusätzlich Electronics, ebenso der Perkussionist Joss Turnbull, der zur Stammbesetzung des „Diwan“ gehört.

In Cymin Samawaties „Diwan der Kontinente“ begegnen sich Individualität und Differenz, Tradition und Wagnis, Wissen und Experimentierlust

Flöten und ihnen verwandte Holzblasinstrumente aus dem Nahen Osten sowie Saiteninstrumente aus Ostasien haben es Samawatie besonders angetan: Sie verdoppelt die Instrumentalisten der persischen Ney, der syrische Flötist Mohamad Fityan spielt außerdem die arabische Kawala, erstmals integriert Samawatie zwei armenische Duduks und ergänzt diese Kurz­obo­en um den klassischen Oboisten Demetrios Karamintzas. Die asiatische Zither ist als chinesische Guzheng und japanische Koto präsent, ihre orientalische Variante Kanun spielt Bassem Alkhouri. Nach Möglichkeit erforscht Samawatie sämtliche Instrumente selbst. Auf der Kanun hat sie einmal improvisiert, Marimba und Vibraphon, im „Diwan“ von Sabrina Ma angeschlagen, sind ihr aus dem Studium des klassischen Schlagwerks, neben Gesang und Klavier, an der Hochschule für Musik und Theater Hannover vertraut. Dirigieren hat sie bereits am Gymnasium in Braunschweig gelernt, Anfang der 1990er Jahre taucht sie erstmals in den Jazz ein und widmet sich intensiv dem Repertoire von Bigbands.

„Das war für mich eine komplett neue Welt“, sagt Samawatie im Gespräch. „Ich habe zwar damals schon Musik gemacht und eigene Stücke komponiert, aber eine Bigband war für mich die von Lenny Kravitz, mit Bläsern und Backgroundsängern.“ Noch heute hört sie von Musikern, sie sei keine typische Sängerin. Improvisation ist für sie ein verbindendes Element der verschiedenen Musikrichtungen, inhaltlich richtet sie den Fokus auf deren Funktion zur menschlichen Äußerung von Angst, Hoffnung, Dankbarkeit und Huldigung jenseits religiöser Kategorien.

Im „Diwan der Kontinente“ begegnen sich Individualität und Differenz, Tradition und Wagnis, Wissen und Experimentierlust. „Ich bereite das Feld für Musiker, die mich faszinieren, und nehme sie an die Hand“, sagt die Initiatorin, Komponistin, Arrangeurin und Sängerin bescheiden. „Ich habe das Glück, dass sie meine Sehnsucht teilen, und wünsche mir, dass das Orchester von ihren unterschiedlichen Herangehensweisen und Hörgewohnheiten lebt. So lernen wir uns auf einer neuen Ebene kennen.“

Diwan der Kontinente live: Sonntag, 8. November, 19.00 Uhr, Haus der Berliner Festspiele, im Rahmen des Jazzfests Berlin

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