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Vor neuem Auschwitz-Prozess gegen SS-Wachmann

Justiz Ein 93-Jähriger aus Nordrhein-Westfalen soll sich wegen Massenmorden verantworten

BERLIN taz | Die juristische Auseinandersetzung mit den NS-Massenmorden wird voraussichtlich auch im nächsten Jahr nicht beendet sein. Das Landgericht Detmold wird in den nächsten Wochen entscheiden, ob ein Hauptverfahren gegen einen früheren SS-Wachmann des Vernichtungslagers Auschwitz eröffnet wird. Ein ärztliches Gutachten hat dem 93-jährigen Rentner aus Lage eine eingeschränkte Verhandlungsfähigkeit attestiert. Die Verhandlung müsse auf zwei Stunden am Tag begrenzt sein, erklärte ein Facharzt für Psychiatrie und Geriatrie. Das gab das Gericht am Montag bekannt. Damit ist die letzte Klippe vor einem Verfahren beseitigt. Das Landgericht wird in den nächsten Wochen über einen Prozess entscheiden.

Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für NS-Verbrechen in Dortmund hatte den Rentner H. im Februar angeklagt. Ihm wird Beihilfe zum Mord in mindestens 170.000 Fällen vorgeworfen.

Nach den Ermittlungen soll H. vom Januar 1943 bis zum Juni 1944 als Wachmann, zuletzt im Rang eines SS-Unterscharführers, im Stammlager Auschwitz eingesetzt worden sein. H. habe seinen Einsatz in Auschwitz bei einer Vernehmung eingeräumt, sagte Oberstaatsanwalt Andreas Brendel der taz. Er will sich jedoch nicht an Mordaktionen beteiligt haben und habe von den Morden nicht gewusst. Eine Hausdurchsuchung bei H. habe keine weiteren Erkenntnisse erbracht, sagte Brendel.

Der Nachweis eines individuellen Mordes ist nach neuerer Rechtsprechung für eine Verurteilung aber nicht mehr notwendig. Vielmehr, so der Duktus der entsprechenden Urteile gegen John Demjanuk und Oskar Gröning, reiche die Anwesenheit in einem Vernichtungslager aus, weil mutmaßliche Täter dadurch den Massenmord aktiv unterstützten.

Die H. zur Last gelegte Beihilfe zum Mord an mindestens 170.000 Menschen bezieht sich vor allem auf die zum Zeitpunkt seiner Anwesenheit in Auschwitz erfolgten Deporta­tio­nen ungarischer Juden in das Vernichtungslager. Der größte Teil dieser Opfer ist unmittelbar nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordet worden. Die Anklage geht davon aus, dass dem früheren SS-Mann die Tötungsmethoden bekannt gewesen seien. Er habe mit seiner Arbeit als Wachmann die vieltausendfachen Tötungen fördern oder zumindest erleichtern wollen.

Der Angeklagte will von den Morden nichts gewusst haben

Die Anklage gegen H. geht auf Ermittlungen der Zentralen Stelle zur Ermittlung von NS-Verbrechern in Ludwigsburg zurück, die durch Datenabgleiche die Namen von 50 früheren NS-Tätern herausfiltern konnte. Von den fünf Fällen, die Bürger mit Wohnsitz in Nordrhein-Westfalen betrafen, gelangte nur H. zur Anklage. Zwei weitere Personen waren verstorben, einer verhandlungsunfähig, und zwei hatten sich lediglich als Soldaten zur Neueinkleidung kurzzeitig in Auschwitz aufgehalten und gelten entsprechend als unschuldig.

Erst im Sommer dieses Jahres war in Lüneburg ein SS-Angehöriger in Auschwitz zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Oskar Gröning hatte von 1942 bis 1944 in Auschwitz vor allem als Buchhalter gearbeitet, war aber auch als Wachmann bei Selek­tio­nen an der Rampe anwesend. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Klaus Hillenbrand

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