Nach 66 Jahren plötzlich ein „historisches“ Treffen

China/Taiwan Chinas Präsident Xi will jetzt den scheidenden Präsidenten Ma aus Taiwan treffen

Auf den ersten Blick erscheint das Treffen erfreulich, doch viele Taiwaner sind nicht begeistert

Aus Peking Felix Lee

Weder soll eine Vereinbarung unterzeichnet werden noch ein Abkommen, nicht einmal eine gemeinsame Erklärung. Das betonen beide Seiten vorab. Und doch ist dieses Treffen historisch: Erstmals seit Ende des Bürgerkriegs vor rund 66 Jahren wollen die Staatschefs von China und Taiwan zu einem direkten Gespräch zusammenkommen. Xi Jinping und Ma Ying-jeou wollen sich am Samstag in Singapur treffen.

Allein diese Ankündigung ist eine Zäsur. Denn bis heute erkennen sich beide Staaten nicht an. De facto ist Taiwan mit seinen 23 Millionen Einwohnern zwar ein unabhängiger Staat mit Demokratie, eigener Verwaltung und eigenem Militär. Auf Betreiben Pekings wird die Insel von den meisten Ländern aber nicht als eigenständiger Staat diplomatisch anerkannt. Peking hält Taiwan für eine abtrünnige Provinz.

Für die Regierung in Taiwan wiederum ist das Festland nur vorübergehend in der Hand der Kommunistischen Partei (KP), nachdem die nationalchinesische Regierung der Kuomintang (KMT) 1949 nach dem verlorenen Bürgerkrieg nach Taiwan flüchten musste. Immer wieder droht die KP-Führung in Peking mit Gewalt, sollte eine taiwanische Regierung es wagen, die Unabhängigkeit auszurufen.

Pekings offizieller Taiwan-Beauftragter, Zhang Zhijun, nannte das nun anberaumte Treffen als einen „Meilenstein in den Beziehungen“ und bezeichnete die Präsidenten als „Anführer auf beiden Seiten der Taiwan-Straße“. Damit erkennt die kommunistische Führung in Peking den Präsidenten der „Republik China“ – wie sich Taiwan offiziell bezeichnet – zwar auch weiter nicht an. Doch Zhangs Formulierung deutet darauf, dass sich beide Seiten am Samstag auf Augenhöhe begegnen werden. Das hatte Taipeh stets gefordert.

Doch so erfreulich diese Zusammenkunft auf den ersten Blick erscheinen mag – viele Taiwaner sind nicht begeistert. Sie fürchten, dass Peking unmittelbar Einfluss auf die Innenpolitik des Inselstaates nimmt. In Taiwan sind im Januar Präsidentschaftswahlen. Ma Ying-jeou von der KMT darf nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten. Nicht zuletzt die Annäherungspolitik seiner Partei an China hat in den vergangenen Jahren zu Massenprotesten geführt. So hat Ma zahlreiche Abkommen mit Peking geschlossen und auch die Bedingungen für Investoren vom Festland auf Taiwan gelockert. Viele Taiwaner fürchten, von Chinesen vom Festland überrannt zu werden. Hunderte Peking-Gegner protestierten auch am Mittwoch vor dem Parlament in Taipeh und warnten vor einem „Ausverkauf“ an China.

Laut Umfragen favorisiert eine große Mehrheit der Taiwaner derzeit die oppositionelle Demokratische Fortschrittspartei (DPP). Sie propagiert zwar nicht Taiwans formale Unabhängigkeit, setzt sich aber sehr viel mehr als die KMT von Peking ab. Die KMT hat derzeit nur noch eine Zustimmung von unter 20 Prozent.

„Ein Treffen der beiden Führer auf beiden Seiten der Taiwan-Straße ist ein großartiges Ereignis und im Interesse von Taiwan“, sagte Oppositionsführerin Tsai Ingwen von der DPP. Aber die Öffentlichkeit so hastig über ein solch großes Ereignis zu informieren schade Taiwans Demokratie, kritisierte sie. Ihr Sprecher bezeichnete das Treffen von Xi und Ma als „Wahlkampfhilfe für die Präsidentenpartei“.

Auch innerhalb der KMT gibt es kritische Stimmen. Offensichtlich bemüht sich Peking, die KMT als Garanten für stabile Beziehungen zu stärken. Das sei zwar löblich, so ein KMT-Vertreter. Doch er befürchte, dass das Gegenteil bewirkt wird: „Mit diesem Treffen treiben Xi und Ma noch mehr Wähler in die Arme der Peking-Gegner.“

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