Klaus Hillenbrand über Netanjahu und den Holocaust
: Gefährliche Relativierung

Netanjahu hat mit seinem Geschwätz gewaltigen Schaden verursacht

Beim Kampf um die öffentliche Meinung im Nahostkonflikt sind die Beteiligten nicht unbedingt um Wahrhaftigkeit bemüht. Ein Teil der Propaganda besteht darin, die nationale Geschichte und deren Protagonisten zum Vehikel der vorgeblichen Bösartigkeit des jeweiligen Gegners zu erklären. Diese Methode ist alt und durchsichtig, doch sie verspricht immer wieder Erfolge. Diese Hoffnung hatte wohl auch Israels Premier Benjamin Netanjahu, als er sagte, der arabischen Mufti von Jerusalem Amin al-Husseini habe Hitler und die Nazis 1941 erst auf die Idee zum Holocaust gebracht, ihn also der größtmöglichen Bösartigkeit bezichtigte.

Diese Behauptung ist, darin sind sich Historiker einig, falsch. Der Holocaust hatte längst begonnen, als Hitler Ende November 1941 mit al-Husseini zusammentraf. Die Entscheidung, alle Juden im deutschen Machtbereich zu ermorden, war längst gefallen. Zweifellos war al-Husseini ein glühender Antisemit und Nazifreund, der noch 1943 darum bedacht war, europäische Juden lieber umzubringen als diese nach Palästina zu entlassen. Doch die Schoah bleibt eine deutsche Erfindung.

Netanjahu hat mit seinem Geschwätz gewaltigen Schaden verursacht. Ausgerechnet der israelische Premier hat den Holocaust relativiert. Dass deutsche Neonazis nun behaupten können, selbst Israelis seien der Meinung, nicht die Deutschen seien am Judenmord schuld, ist dabei das geringste Problem. Schwerer wiegt, dass in einer Region, in der die antisemitischen „Protokolle der Weisen von Zion“ weit verbreitet sind, auch von höchster israelischer Stelle Zweifel an der Geschichtsschreibung geäußert werden. So wird ein Menschheitsverbrechen beliebig für Interpretationen jedweder Art gemacht und entwertet.

Der Massenmord an den Juden war 1948 ein konstitutives Element bei der Gründung des Staates Israel. Ihn nach Belieben zu interpretieren, zeugt von Geschichtsvergessenheit im eigenen Land.

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