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Macht Selten war Winfried Kretschmann der Kanzlerin so nah: Der erste grüne Ministerpräsident über seine Flüchtlingspolitik, seine Regierungsbilanz und seine Strategie zur Wiederwahl„Mir brennt hier wirklich jeden Tag der Kittel“

von Benno Stieber und Peter Unfried (Interview) und Julia Baier (Fotos)

taz.am wochenende: Vizekanzler Sigmar Gabriel zweifelt öffentlich an der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin, Teile der CDU tun es auch. Die CSU zweifelt sowieso. Sind Sie in dieser Frage der einzig sichere Gewährsmann von Angela Merkel, Herr Ministerpräsident?

Winfried Kretschmann: Die Übereinstimmung mit Angela Merkel in der Flüchtlingsfrage ist groß. Die Kanzlerin zeigt Haltung und Klarheit. Und das trotz enormen Gegenwinds aus der eigenen Partei, auch aus Baden-Württemberg. Wir als Landesregierung fahren angesichts der vielen Flüchtlinge, die Tag für Tag zu uns kommen, auf Sicht. Aber wir stochern nicht im Nebel, sondern haben einen Kompass, der die Richtung vorgibt. Es ist die Zeit des Krisenmanagements, im Bund, in den Ländern und in den Kommunen. Aber es ist ja ohnehin Merkels Stil, nicht unbedingt die Politik der großen Vision, sondern – frei nach Karl Popper – „Stückwerk-Technologie“ abzuliefern. Das heißt allerdings auch, dass sie und die Bundespolitik lange das große Bild nicht im Blick hatten: die Fragen nach gerechteren Verhältnissen in der Welt. Das holt uns jetzt ein.

Bei der Bundesratsentscheidung an diesem Freitag haben sechs von neun Ländern, in den die Grünen mitregieren, dem asylpolitischen Notpaket der Bundesregierung zugestimmt, inklusive diverser Verschärfungen. Sind Sie jetzt Merkel-Grüne?

Wir sind selbstbewusste Grüne, wir stehen geschlossen da und haben dem Gesetz mit großer Mehrheit aus den grün regierten Ländern heraus zugestimmt. Im Kreise der Ministerpräsidenten haben wir mit der Bundesregierung ein Paket geschnürt, das allen etwas abverlangt, insgesamt aber gut und ausgewogen ist und uns voranbringen wird. Wir haben gezeigt, dass die demokratischen Parteien zusammenstehen. Nur gemeinsam können wir diese Herausforderung bestehen.

Der Philosoph Peter Sloterdijk sagt, Merkels Politik gleiche einer generalisierten Pannenhilfe. Es gebe nur die Wahl zwischen unterschiedlichen Übeln. Daher versuche die Kanzlerin, das kleinste Übel zu identifizieren.

Das ist überspitzt von Sloterdijk, kommt der Realität aber sehr nahe. Ich habe ja einen anderen Politikstil und finde nicht, dass man zum Arzt muss, wenn man Visionen hat. Aber in der Krise ist das der richtige Stil. Die Alternative, die wir dazu hören: Grenzen abschotten, dicht machen. Das ist nur mit Mauer und Schießbefehl durchzusetzen. Die andere Alternative, die wir Grünen mal verfolgt haben: Grenzen auf. Das mussten wir aufgeben. Denn das geht auch nicht. Offene Grenzen stellen die eigene Gesellschaft infrage.

Was ist Ihre Vision: Braucht es, nachdem das Dublin-System kollabiert ist, nicht eine völlig neue Flüchtlingspolitik?

Das stimmt. Da steht die Europäische Union vor einer großen Aufgabe. Jedes Land für sich ist auf Dauer überfordert, auch Deutschland irgendwann. Das höre ich ja jeden Tag, wenn ich mit den Bürgermeistern daran arbeite, über Nacht neue Flüchtlingsunterkünfte zu schaffen. Das kann nur Europa gemeinsam lösen. Mein Eindruck ist: Daran arbeitet die Kanzlerin zäh. Sie hat Polen rausgebrochen und ist entschlossen, den Druck zu erhöhen. Die Neinsagerfraktion in der EU ist kleiner geworden.

Das sehen Sie optimistisch. Was, wenn Merkels Bemühungen in Europa scheitern?

Dann ist auch unser starkes Land irgendwann überfordert, und dann wird es auch bei uns Zeltstädte geben. Diese globale Flüchtlingsbewegung kann nur die Europäische Union gemeinsam lösen. Auch nichteuropäische Länder wie die USA sehen langsam ein, dass sie mehr tun müssen. Und die reichen Öl­staaten sind auch gefordert, endlich einen Beitrag zu leisten. Wo ist denn die viel gepriesene muslimische Umma?

Die internationale islamische Gemeinschaft.

Nix ist von ihr zu sehen. Daran sieht man auch, dass es in dieser ganzen Frage nicht um den Islam geht.

Sie spielen auf Ängste in der Bevölkerung an?

Ja, die Sorge, wir würden jetzt vom Islam überrollt, ist aus meiner Sicht unbegründet. Die Flüchtlinge sind aus der Diktatur entlassen und damit wohl erst mal so säkular, wie wir alle. Das Problem sind eher kulturelle Fragen. Viele kommen aus patriarchalen und paternalistischen Gesellschaften und kennen Grundsätze wie Religionsfreiheit oder die Gleichberechtigung der Frau nicht, die wir für normal halten. Das sind die Herausforderungen bei der Integration dieser Menschen. Deswegen war es auch so wichtig, dass wir Grünen durchgesetzt haben, dass die Integrations- und Sprachkurse für Flüchtlinge geöffnet werden. Da dürfen wir keine Zeit verlieren.

Was halten Sie von Sigmar ­Gabriels Zweifeln, dass „wir“ das schaffen können?

Da wirken offenbar die Erfahrungen und Sorgen aus den 90er Jahren nach. Damals wurde ja mithilfe der SPD das Asylrecht im Grundgesetz geändert. Ich wundere mich, dass man aus diesen Erfahrungen nicht gelernt hat. Die Kanzlerin und die große Mehrheit der Ministerpräsidenten sind ein Bollwerk gegen diese populistischen Verführungen.

Sie sagen ja, ihre Politik sei pragmatischer Humanismus. Man könnte auch sagen, es ist selektiver Humanismus, der eine bestimmte Not ausschließt, etwa die auf dem Westbalkan.

Alles in der Welt ist ja relativ. Es kommen in diesen Wochen Menschen zu uns, die vor Armut und Perspektivlosigkeit fliehen und dennoch nicht bleiben können, und es kommen Menschen, die vor Krieg, Vertreibung und politischer Verfolgung fliehen und daher Schutz und damit eine sichere Bleibeperspektive erhalten. Wenn ich solche Flüchtlingsströme habe, bedeutet politische Verantwortung auch, diese harte Wahrheit auszusprechen und sie in unser Handeln einzubeziehen. Und: Wir haben ihnen beim Flüchtlingsgipfel mit dem Beschäftigungskorridor für Menschen von Westbalkan ein legales Tor geöffnet. Das wollte außer den Grünen niemand wirklich haben. Einen Monat später, unter dem Druck der Verhältnisse, hätten wir das womöglich gar nicht mehr hinbekommen.

Ihr Parteifreund Jürgen Trittin sagt, mit den Beschlüssen vom Flüchtlingsgipfel werde das Narrativ der CSU bedient, Balkanflüchtlinge würden geradezu in die Kriminalität getrieben.

Das ist einfach Polemik und hat mit den Realitäten nichts zu tun. Damit unterstellt er Balkanflüchtlingen, dass sie kriminell werden, nur weil sie nicht anerkannt werden. Und er unterschlägt, dass das Asylrecht für diese Menschen schon heute eine Sackgasse ist. Es ist genau umgekehrt: Der Ausbildungs- und Beschäftigungskorridor schafft für sie einen legalen Weg. Im Übrigen gilt der Satz des Thüringer Kollegen Ramelow: Ich hab keine Zeit für ideologische Debatten, ich muss jetzt Wohnungen suchen.

Sie auch?

Mir brennt hier wirklich jeden Tag der Kittel, wir wissen oft nicht, wie es weitergeht, und kriegen das trotzdem irgendwie hin, dass niemand auf der Straße bleibt. Und auch CSU-Chef Horst Seehofer, egal was immer er auch vor der Presse sagt, schafft das. Ich habe großen Respekt vor der bayerischen Verwaltung. Auch da ist die Wahrheit konkret: Wenn man sieht, dass Ehren- und Hauptamtliche seit Monaten arbeiten, bis sie fast aus den Schuhen kippen, was helfen da Trittins Sprüche? Das hat mit den realen Problemen nichts zu tun. Deutschland und Schweden nehmen die Hälfte aller Flüchtlinge auf.

Sie bleiben dabei, dass man mit dem flüchtlingspolitischen Maßnahmenpaket erfolgreich und human arbeiten kann?

Ja, ich sehe den Flüchtlingsgipfel als Erfolg: Der Konsens reicht von Ramelow bis Seehofer, mittendrin die Kanzlerin. Damit ist ein wichtiges Signal ausgesandt, dass alle Parteien in Regierungsverantwortung in der Krise zusammenstehen. Wenn das nicht mehr so ist, dann kippt die Stimmung in der Bevölkerung. Und es ist auch ein Signal an Europa. Stellen Sie sich vor, die AfD käme in die Größenordnung von Front National oder Ukip, da wäre doch Panik bei uns.

Bricht diese Koalition aller ­regierenden Parteien nicht spätestens bei den Landtagswahlen, etwa bei denen in Baden-Württemberg?

Ob das hält, kann ich nicht ­sagen, aber ich werde nichts dafür tun, dass der überparteiliche Konsens bricht, sondern alles dafür, dass er hält. In der Krise geht man auf Konsens, nicht auf Konflikt, wenn in der Grundentscheidung eine Einigkeit da ist. Es ist eine Stärke Deutschlands, dass wir diese Polarisierung wie in anderen Ländern nicht erleben. Übrigens auch bei uns ­Grünen. Wir sind diesmal zusammengeblieben, das ist schon eine Leistung.

In Baden-Württemberg sind Sie als Person die stärkste politische Kraft. Noch vor der CDU als Partei. Trotzdem müssen Sie um die Mehrheit bangen, auch weil Ihr Partner SPD im Moment durchhängt.

Zuerst einmal bin ich ein Ministerpräsident in Deutschland, der nicht die stärkste Partei repräsentiert. Von uns Grünen im Südwesten verlangt man deshalb alles, was man auch von einer Volkspartei erwarten würde. Darüber will ich aber nicht jammern, das ist so, wenn man den Regierungschef stellt. Wir führen ja eine erfolgreiche Koali­tion und machen gemeinsam mit der SPD gute Politik.

Kann das dann noch Grüne ­Politik sein, die Sie machen?

Die grüne Handschrift zieht sich durch alle Politikfelder durch – egal ob Bildung, Energie, mehr Demokratie oder nachhaltige Finanzen. In diesem Zusammenhang zitiere ich aber auch immer wieder gerne Bill Clinton: It’s the Economy, stupid. Es steht und fällt alles mit der Wirtschaft, auch wenn das vielleicht nie das Kernthema der Grünen war. Ich wüsste nicht, wie man in einem Land wie Baden-Württemberg Wahlen gewinnen soll, wenn man Politik gegen die Wirtschaft macht. Schließlich sorgt sie für Prosperität.

Kritiker werfen Ihnen vor, speziell mit der Autoindustrie auf Kuschelkurs zu sein.

Es stimmt ja nicht, dass wir zu milde mit der Industrie umgehen. Beispiel Giga-Liner. Diese großen Lkws dürfen zwar auf unseren Straßen getestet werden, aber es wird auch geprüft, wie die CO2-Bilanz tatsächlich ist. Das haben wir so ausgehandelt. Ich muss mich doch an den Fakten orientieren und nicht an Dogmen. Denn nach dem Theologen Karl Rahner sind Dogmen wie Laternen, sie sollen etwas beleuchten, aber nur Betrunkene halten sich an ihnen fest.

Im Fall VW haben wir es doch mit einer nüchternen Tatsache zu tun: dass es die sauberen Autos nicht gibt, die Politik und Wirtschaft uns vorgegaukelt haben. Die Politik muss die Industrie zwingen, die angeblichen Optimierungen real zu liefern.

Der Druck war von unserer Seite immer da, aber man muss ihn auch durchsetzen können. Dieses Desaster bei VW ist höchst gefährlich für die ganze Branche. In Baden-Württemberg ist jeder vierte Arbeitsplatz von der Automobilbranche abhängig, damit spaßt man nicht. Deshalb denke ich nicht: Jetzt habe ich euch! Sondern wir müssen jetzt versuchen, das Vertrauen wiederherzustellen.

Hätte man der Industrie nicht einen Dienst erwiesen, wenn man Abgaswerte auch in Deutschland strenger kontrolliert hätte?

Man muss schon sehen, dass wir es bei VW mit Betrug zu tun haben, der Kontrollen ausgehebelt hat. Da geht es nicht ums noch legale Tricksen. Der Kollateralnutzen dieser wirklich schweren Krise: Die Branche hat gelernt, dass ökologische Technologie eine ernste Angelegenheit ist und dass es ruinös sein kann, wenn man Grenzwerte nicht beachtet. So weit sind wir mit den grünen Ideen immerhin schon.

Über Alternativen „Grenzen abschotten, dicht machen: das ist nur mit Mauer und Schießbefehl durchzusetzen“Winfried Kretschmann

Aus Sicht von Linksgrünen, NGOs und Erneuerbare-Energie-Verbänden hört man oft, die grün-rote Bilanz sei viel zu wenig grün. Der Spielraum sei nicht genutzt worden.

Falsch. Nehmen Sie die Bildungspolitik, da haben wir nicht zu wenig, sondern eher zu viel gemacht. Das hat uns Probleme bereitet. In der Energiepolitik hatten wir das richtige Tempo. Und unsere Unternehmen in Baden-Württemberg gehen massiv in Ressourcen- und Energieeffizienz. Auch bei den Windrädern ist der Knoten jetzt geplatzt; die von der früheren Landesregierung betriebene Blockade bei der Windkraft wurde beendet.

Netto wurden 2014 vier Wind­räder in Betrieb genommen. Wie wollen Sie 10 Prozent Windstrom bis 2020 schaffen?

Aber jetzt sind 121 Windräder im Bau. Die erzeugen in etwa die gleiche Leistung, wie das frühere AKW Obrigheim. Sie müssen sehen, dass mein sonst geschätzter Vorvorgänger Teufel praktisch jedes Windrad persönlich bekämpft hat. Es hat sich gezeigt, dass es fünf Jahre dauert, das zu ändern.

Das sagen Sie immer.

Weil es stimmt.

Sie sind der weltweit erste grüne Ministerpräsident. Auch wenn sie wissen, wie Politik funktioniert, erwarten speziell Grüne jenseits von Baden-Württemberg mehr Grün.

Das ist eine bonapartistische Idee, dass man in die Regierung kommt und dann mal aufräumt. Das ist Politkitsch. Trotzdem sind bei uns starke grüne Einfärbungen und Imprägnierungen reingekommen, das habe ich ja eben dargelegt.

Sie seien nicht gerade ein Löwe, heißt es.

Wer nachhaltig arbeiten will, muss das langsam tun. In der Energiepolitik wird es für die, die eines Tages nach uns kommen, schwierig bis unmöglich, das wieder zurückzudrehen. Das gilt auch für die 270 Gemeinschaftsschulen, die wir jetzt haben. Würde ich es anders machen, hätte ich eine Zustimmung von 15 und nicht von fast 70 Prozent. Und wenn man nur 15 hat, kriegt man gar nichts hin.

Wo ist die Trennlinie zwischen der Union und Ihnen?

Es gibt kein einziges Politikfeld, auf dem nicht deutlich wird, dass wir eine andere Handschrift haben. Vor allem hat sich der Stil geändert. Die Politik des Gehörtwerdens nennen die Leute zuerst, wenn sie nach Verbesserungen gefragt werden.

Studien belegen, dass Baden-Württemberg im Vergleich zu anderen Bundesländern auch bei Bürgerbeteiligungen noch immer hinterherhinkt.

Das bezieht sich sicher auf die direkte Demokratie. Hier ist es so, dass wir für die Stärkung der direkt demokratischen In­strumente die Opposition mit ins Boot holen mussten, weil dafür eine Änderung der Verfassung nötig ist. Und es braucht eben seine Zeit, einen solchen überparteilichen Konsens hinzukriegen. Aber der Durchbruch ist geschafft: In dieser Woche hat der Landtag grünes Licht für die Senkung der Hürden für Bürger­entscheide in den Kommunen gegeben. Und auch die Verfassungsänderung für mehr Demokratie auf Landesebene steht an. Dann haben wir ein jahrzehntelanges Ziel erreicht.

Für eine erneute Mehrheit für Grün-Rot wird es eng, dennoch schließen Sie Grün-Rot-Rot aus. Warum eigentlich?

Ein Industrieland wie Baden-Württemberg kann man nicht mit der Linkspartei regieren. Das große Problem der Linken ist die Haltung, Deutschland lebe in einer Nationalökonomie. Die können mit dem Globalisierungsprozess nicht produktiv umgehen. Zumal in Baden-Württemberg kein Ramelow unterwegs ist.

Der Thüringer Ministerpräsident der Linkspartei.

In meiner Wahrnehmung ist Ramelow eher ein typischer Sozialdemokrat, der sehr pragmatisch regiert. Das ist hier anders, da sind viele Sektierer unterwegs.

Warum weisen Sie den Begriff „links“ von sich? Sie könnten sagen, links ist da, wo ich bin.

Könnte ich. Mache ich aber nicht.

Auch dafür werden Sie von Kritikern als schwarz-grüner Ministerpräsident gezeichnet. Die Ironie ist, dass Sie mit Grün-Rot regieren und Schwarz-Grün Sie in Rente schicken würde.

Ja. Das ist die List der Geschichte. Aber ich bin sehr optimistisch, fünf weitere Jahre Ministerpräsident zu bleiben. Und auch der CDU täten fünf weitere Jahre ­Opposition ganz gut. Die Oppositionsbänke sind hart und regen zum Denken an.

Sie hören bei Amtsverlust auf, haben Sie gesagt. Gilt das auch für die Bundespolitik?

Winfried Kretschmann

Der Mann: Der grüne Ministerpräsident wurde 1948 in Spaichingen geboren, als Sohn von deutschen Flüchtlingen aus dem polnischen Ermland. Während des Studiums zwei Jahre beim Kommunistischen Bund Westdeutschland. Dann Lehrer (Biologie, Chemie, Ethik). 1979 gründete er die Grünen in Baden-Württemberg mit. Seit 1980 mit Unterbrechungen im Landtag. Ab 2002 Grünen-Frak­tionschef. Seit 12. Mai 2011 erster Grüner Ministerpräsident ever (mit 24,2 Prozent der Stimmen).

Die Abstimmung: Die Wahl in Baden-Württemberg ist am 13. März 2016 und wird eng. Kretschmann und Grüne wollen die Koalition mit der SPD fortsetzen. Bis 2011 regierte 58 Jahre die CDU. Jüngstes SWR-Umfrage-­Ergebnis: Grüne 26, SPD 17, CDU 39, FDP 5, AfD 5, Linke 4 Prozent.

Der Bund: Die Bundesgrünen Haben ein kompliziertes Verhältnis zu Kretschmann. Teile stören sich an seinem Verständnis der Grünen als gesellschaftliche Mehrheitspartei und speziell an der von ihm mitgetragenen Asylrechtsänderung 2014 – sowie an seiner Positionierung der Grünen als Wirtschaftspartei.

Ja.

Auch für das höchste Amt im Staat?

Berlin ist nicht meine natür­liche Ebene. Ich mache zwar viel Bundespolitik, aber immer von meinem Land aus. Mein Verhältnis zu Berlin ist zwiespältig. Ich bin Provinzpolitiker aus Leidenschaft.

Hat Baden-Württemberg Sie oder haben Sie das Land verändert?

Das ist dialektisch und verändert beide. Man wird aus so einem Amt nicht rauskommen, wie man reingegangen ist. Es setzen Biegekräfte an, man wird gebogen, muss aber widerständig gegen das Verbiegen sein. Im Gestaltungsraum des Regierens bekommt man einen positiveren Blick auf Land und Menschen als aus der kritischen Perspektive der Opposition.

Zum Beispiel?

Bei aller meiner Erfahrung als Oppositionspolitiker, der nichts fordert, was er nicht umsetzen könnte, habe ich doch zu Amtsbeginn in der Frage der Windkraft geglaubt: Das wird jetzt in der ersten Plenarsitzung ruckzuck klargezogen. Das muss ich ernsthaft zugeben.

Das hat ja nun gar nicht geklappt.

Da war ich naiv. In der Opposition denkt man, die wollen nicht. Und dann merkt man in manchen Fällen: Es geht nicht so einfach, nicht so schnell. Ich habe sogar zwei- oder dreimal getobt, aber das Gras wächst nicht schneller, wenn man dran zieht. Am Ende haben wir den Durchbruch beim Windener­gie­ausbau ja doch geschafft.

Benno Stieber, 43, ist taz-­­Korrespondent in Baden-Württemberg

Peter Unfried, 51, ist taz-­Chefreporter

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