Kolumne Leuchten der Menschheit: Von Denkern und Ärschen
Peter Sloterdijk weiß, was das Weib vom Tier trennt, und Richard David Precht träumt den Philosophentraum.
Verschämt bürstet Peter Sloterdijk sein schütteres Haar und den Schnurrbart. Ich finde das irgendwie sympathisch. Ich mag ja auch, wenn Frauen in der Öffentlichkeit ihren Spiegel auspacken, um den Lippenstift möglichst exakt nachzuziehen.
Frisch gekämmt nimmt Sloterdijk neben Suhrkamp-Velegerin Ulla Unseld-Berkéwicz Platz und macht einen Witz über sein Alter. Er fühle sich verjüngt. Es ist Tradition, dass zum alljährlichen Kritikerempfang des Suhrkamp Verlags in der Frankfurter Villa Unseld ein Manuskript aus dem nächsten Frühjahrsprogramm gelesen wird. Zum 56. Empfang also Sloterdijk.
Ich gebe zu, ich wollte das Manuskript des Karlsruher Philosophen sowieso blöd finden. Spätestens seit er 2010 den Vorschlag unterbreitet hat, Steuern durch Almosen von Reichen zu ersetzen, will ich alles von ihm blöd finden.
Der Frankfurter Philosoph Axel Honneth, der Sloterdiijk in dieser Steuer-Almosen-Debatte öffentlich angriff, ist in diesem Jahr dem Kritikerempfang ferngeblieben. Dabei hat er auch gerade ein neues Buch bei Suhrkamp – „Die Idee des Sozialismus“ heraus. Es ist ein Vorschlag zur Aktualisierung der Idee des Sozialismus, dessen theoretische Prämissen noch aus der Zeit des Industrialismus stammten. Honneth spricht vor allem über politische Freiheit, aber auf einer metapolitischen Ebene, was einen am Ende etwas ratlos zurücklässt.
Sloterdijk schreibt einen Roman
Sloterdijk also. Bezüglich der erwähnten Debatte liest er an diesem Buchmessenmittwoch Unverfängliches vor. Es stellt den Bezug auf die Naturphilosophie des deutschen Idealismus her – „Schelling-Projekt“ heißt das Manuskript, es ist überraschenderweise ein Roman, ein Briefroman, und nach „Der Zauberbaum“ aus dem Jahr 1985 der zweite des Karlsruhers.
Doch woher die Verjüngung des Autors, die einige bloß als das Zähneklappern eines alten Mannes wahrnehmen? Sie muss mit dem Roman zusammenhängen, so viel wird klar. Genaues weiß man nicht, aber es geht um die Erforschung der weiblichen Erotik und diesbezüglich finden Sloterdijks Forscher mit Hilfe der Paläontologie so einiges heraus.
Dass das Weib „das von hinten zu nehmende Tier war“, wie regte sich da was, das ist die Frage, der man nachgeht, und will dem Geheimen auf die Spur kommen, das doch viel mystischer sein muss, als die Psychoanalyse lehrt, Knochen, DNA, wie kommt man da nur ran?
Es folgt eine Pointenschlacht, die einem das Hirn zu Butter macht. „Eine leere Wohnung ist wie eine alte Freundin, die aufgehört hat, dich zu kritisieren“, „wie viele Briefmarken ich geleckt habe, um seelisch am Leben zu bleiben“, „alle reden über Putin, doch schau dir mal unsere Intendanten an“. Ein leichtes Raunen bei der Rede von „afrikanischen Rückenprägungen“, aber die Kritikerschar benimmt sich wie immer gut und grinst freundlich.
Und dann Kim Kardishian
Der ein oder andere fühlt sich gar inspiriert – „das von hinten zu nehmende“ – und fabuliert später sabbernd über Kim Kardishians Arsch. Ich warte auf das Schelling-Zitat „Die Weisheit ist in allem; der sie sucht, dem kommt sie aus allem entgegen“ und kann gar nicht glauben, dass der, nennen wir ihn „Arsch-Kollege“, es nicht ausspricht.
Ebenfalls am Mittwoch träumt ein anderer Philosoph, nämlich Richard David Precht, auf dem blauen Sofa ein wenig den alten Philosophentraum. Wie toll das gewesen sein müsse für die alten Philosophen, für alles gleichermaßen zuständig zu sein, für jedes Thema. Keine Ausdifferenzierung, keine Experten. Mit dem Blick eines Gladiators pariert er die Fragen des Moderators und fragt mal eben so beiläufig, ob angesichts einer angeblichen Verschiebung von der Bürger- in eine Konsumentengesellschaft die parlamentarische Demokratie noch zeitgemäß sei.
Da hat mich die deutsche Philosophie also an einem Tag vom Tier zum Konsumenten gebracht. Deutschland, deine Philosophen, denke ich. Warum müssen sie für alles gleichermaßen zuständig sein?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Donald Trump wählt seine Mannschaft
Das Kabinett des Grauens
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist