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Die Gemeinsamkeiten sind die größte Gefahr

Islamismus Der Psychologe Ahmad Mansour beschreibt in „Generation Allah“, wie sich Jugendliche zunehmend über ihre religiöse Identität definieren – bis hin zum Extremismus

Ahmad Mansour: „Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen“. S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2015, 272 Seiten, 19,99 Euro

Die brutalen Eroberungszüge des IS machen einen als Anhänger von Freiheit und Demokratie mitunter sprachlos. In ihrer offensichtlichen Ablehnung aller zivilen politischen Auseinandersetzungsformen mit den Gegnern und mit ihrer rücksichtslosen Gewalt, die allen Andersdenkenden jegliche Menschenwürde abzusprechen scheint, haben sie durchaus Erfolg: Sie verbreiten Angst.

Nicht weniger erschreckend ist die Feststellung, dass die Kämpfer des IS zum Teil aus der Mitte der europäischen Gesellschaften kommen. Ironischerweise reisen die jungen Dschihadisten genau in die Krisengebiete, aus denen Flüchtlinge derzeit nach Europa drängen, weil sie in der Europäischen Union die Sicherheit zu finden hoffen, die ihnen in Ländern wie Syrien fehlt. Doch diese Vorzüge scheinen einige Menschen in Deutschland, Frankreich oder Dänemark nicht zu interessieren. Stattdessen schließen sie sich lieber den Kämpfern an.

Der Psychologe Ahmad Mansour, als arabischer Israeli vor elf Jahren nach Deutschland gekommen, schildert in seinem Buch „Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen“ Erfahrungen aus seiner eigenen Arbeit mit religiösen Fanatikern. Er kennt die Strategien, mit denen radikale Muslime wie die Salafisten ihre angehenden Eiferer rekrutieren, aus eigener Erfahrung. Regelmäßig erhält er Anrufe von besorgten Eltern, deren Kinder sich abzusondern beginnen, ihrer Familie vorwerfen, keine „richtigen“ Muslime zu sein. Oft ist es dann schon fast zu spät.

Für Mansour zeichnet sich eine Verschiebung unter muslimischen Deutschen ab: Erst seit einigen Jahren wird das Bekenntnis zur „Umma“, zur Religions­gemeinschaft der Muslime, zum identitätsstiftenden Faktor unter Jugendlichen. Daher der etwas populistisch anmutende Begriff „Generation Allah“. Der aber insofern gerechtfertigt erscheint, als die Radikalen diese religiöse Wende im Selbstverständnis junger Muslime verstärkt für ihre Zwecke ausnutzen.

Mansour schildert den Radikalisierungsprozess von Jugendlichen aus seiner Berufspraxis – und aus eigener Anschauung. Denn als Jugendlicher in Israel geriet er in seinem Heimatort Tira selbst unter den Einfluss von Muslimbrüdern, die zwar keine Terrorkämpfer ausbildeten, den Terror aber in ihren Lobgesängen priesen und damit allemal legitimierten.

Erst durch sein Studium in Tel Aviv, bei dem er im alltäglichen Umgang mit jüdischen Kommilitonen seine antisemitischen und antiwestlichen Vorurteile abbauen lernte, begann er sich allmählich wieder aus dem ideologischen Korsett seiner Umgebung zu befreien. Inzwischen arbeitet er in Berlin in Projekten gegen Extremismus wie „Hayat“, einer Beratungsstelle für Deradikalisierung.

Eine der Gefahren des „Radikalislam“ sieht Mansour „nicht in den Unterschieden zu einem moderaten Islamverständnis, sondern gerade in den Gemeinsamkeiten“. Er ist zwar zuversichtlich, dass Aufklärung möglich und sinnvoll ist. Doch seien eine Reihe politischer Veränderungen dafür notwendig: Das Amt eines Bundesbeauftragten zur Prävention und Bekämpfung ideologischer Radikalisierung müsse eingerichtet, die „gesamte Pädagogik“ und damit auch der Islam­unterricht und die Ausbildung von Lehrern und Sozialarbeitern verändert werden. „Und wir müssen das gängige Islamverständnis da reformieren, wo es Anknüpfungspunkte für den Islamismus bietet.“ Dazu regt er eine „innerislamische Debatte“ an, die auch vor Tabus wie Sexualität nicht haltmache.

Noch seien die Salafisten die besseren Sozialarbeiter, da sie die Bedürfnisse der Jugendlichen bedienten. Doch Mansour zeigt sich optimistisch, dass ein Gegensteuern möglich ist. Mit seiner eigenen Arbeit liefert er überzeugende Argumente. Und einen wichtigen Beitrag in einer Debatte, die immer drängender wird. Tim Caspar Boehme

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