Paartherapie für Mensch und Technik

Rebound-Effekt Werden Wohnhäuser energetisch saniert, ist der Verbrauch oft höher als zuvor errechnet. Das liegt auch am Verhalten der Bewohner, die manchmal anders empfinden als zuvor

Im Wohnquartier Karlsruhe-Rintheim stehen Häuser, die jahrzehntealt sind. Das Potenzial, hier in großem Umfang Verbrauchskosten zu senken, lag auf der Hand. Deshalb wurden dort fast 800 Wohnungen energetisch saniert und mit einem neuen Nahwärmenetz kombiniert, das sich aus Kraft-Wärme-Kopplung und Abwärme speist. Was auf dem Papier gut aussieht und so auch umgesetzt wurde, führte in der Praxis zur Ernüchterung. In drei untersuchten Gebäuden liegt der nach Sanierung gemessene Verbrauch um bis zu einem Viertel über dem zuvor errechneten Bedarf. Dieses Phänomen ist verbreitet, es wird von Experten unter dem Begriff Rebound-Effekt diskutiert. In Karlsruhe gehen Wissenschaftler der RWTH Aachen nun den Ursachen auf den Grund. Sie untersuchen einerseits technische Aspekte – und Probleme. Auf der anderen Seite setzen sie sich mit den Bewohnern der sanierten Häuser auseinander. Denn ob ein energetisch saniertes Haus die gewünschten Effekte erzielt, beeinflussen die Nutzer erheblich durch ihr Verhalten im Alltag.

„In einer Befragung gab nur die Hälfte der Mieter an, dass die Bedienung der neuen Anlagetechnik komfortabler sei als früher“, berichtet Florian Heesen, Projektleiter des Forschungsvorhabens „Analyse des Nutzerverhaltens in energieeffizient sanierten Wohngebäuden“. Die Wissenschaftler befragten die Bewohner zu Lüftungsverhalten, gewünschter Raumtemperatur, Routinen, Einstellungen und Emotionen bezüglich der neuen Technik. Zusätzlich werten sie Daten zu Trinkwarmwasser, Heizung und Lüftung aus – täglich sechs Millionen. Dabei nehmen die Forscher drei Gebäuderiegel mit je drei Aufgängen unter die Lupe. Die 90 Wohnungen sind in sieben verschiedenen Varianten saniert worden.

Nutzer wollen selber ran

Die Untersuchungen zeigen: Es liegt sowohl an technischen Schwierigkeiten als auch am Verhalten der Mieter, dass die erwarteten Energieeinsparungen nicht eingetreten sind. Selbst einwandfrei funktionierende Technik kann ungeplante Effekte hervorrufen, weil sie sich etwa auf das Empfinden auswirkt: Anders als Heizkörper etwa strahlen effiziente Flächenheizungen keine spürbare Wärme ab. Nutzer empfinden den Raum dann trotz gleicher Temperatur als kühler – und drehen die Heizung höher. Andere wiederum nutzen die neue Lüftungstechnik nicht, da sie höhere Energiekosten fürchten oder aber die Lüftung per Fenster als angenehmer empfinden.

Da geht es zum einen um psychologische Effekte: Die Nutzer geben ungern Verantwortung an die Technik ab und wollen selbst Hand anlegen. „Selbst althergebrachte Regeln für richtiges Heizen und Lüften sind vielen Menschen nicht geläufig“, sagt Heesen. „Komplexere Systeme erfordern nicht selten von ihren Nutzern noch mehr kognitive Leistung, doch nur wenige wollen sich mit diesem Thema intensiv befassen.“ Mit der bloßen Information, wie die neue Technik funktioniert, wie künftig geheizt und gelüftet werden sollte, ist es laut Heesen allein nicht getan. „Solche Verhaltensänderungen müssen Menschen sich aneignen.“

Diesem Prozess der Aneignung widmet sich ein Projekt, das von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert wird: „Energieeffizienz und Wohnungswirtschaft – Erprobung von Umweltkommunikationskonzepten zum energieeffizienten Bewohnerverhalten in Bestandssiedlungen in Erfurt und Kassel“. In den beiden Städten entwickelt und erprobt das Institut für Stadtforschung, Planung und Kommunikation (ISP) der Fachhochschule Erfurt Informations- und Beteiligungsmethoden, die den Energieverbrauch der Bewohner positiv verändern sollen. Im Fokus steht der Wärmeverbrauch der privaten Haushalte. Der Rote Berg in Erfurt sowie der Rothenberg und die Quellhofstraße in Kassel sind bis 2016 Beispielquartiere für das Modellprojekt. Am Ende soll unter anderem ein Leitfaden für die Zusammenarbeit zwischen Wohnungswirtschaft und Energieberatern erstellt werden.

In Kassel wurden in den vergangenen fünf Jahren rund 450 Wohnungen energetisch saniert. Anders als in Karlsruhe ändert sich für die Mieter im Alltag praktisch nichts Spürbares. Geheizt und gelüftet wird wie zuvor – aber energetisch auch optimal? Die Kommunale Wohnungsgesellschaft GWG hat die Bewohner schon vor der Sanierung informiert, was geplant ist, und sie über Nachbarschaftshelfer, die sie zu Stromsparberatern ausgebildet hat, für das Thema sensibilisiert. Das geschah etwa bei einem gemeinsamen „Energiefrühstück“, wo über Stromsparen, Heizen und Lüften informiert wurde. „Es ist wichtig auch nach der Fertigstellung, in Kontakt zu bleiben“, erläutert Projektleiterin Heidi Sinning vom ISP. Den Trugschluss, dank Sanierung werde automatisch Energie gespart, solle man gar nicht erst aufkommen lassen, so die Professorin, und stattdessen aufzeigen, „dass sich nach wie vor auch das eigene Verhalten entscheidend auswirkt“.

Die Kosten? Keine Ahnung!

Aufklärung tut in erster Linie not, weil die Mieter den Zusammenhang zwischen ihrem Tun und den Folgen meist nicht wahrnehmen. Bis die Nebenkostenabrechnung auf dem Tisch liegt, ist der letzte Winter schon lange vorbei. Welche Posten in der Abrechnung – wie etwa Heizung und Warmwasser – durch veränderte Gewohnheiten gesenkt werden können, erschließt sich selten auf den ersten Blick. Hinweise auf überdurchschnittlichen Verbrauch finden sich auf solchen Abrechnungen bislang nicht. „Rund 80 Prozent der Privathaushalte können die Höhe ihres Verbrauchs nicht benennen“, sagt Sinning. „Wir haben nun verschiedene Instrumente erarbeitet, um unterschiedliche Zielgruppen zu erreichen.“ LK