piwik no script img

Gabriel will keinen Atom-Stress

Endlager Das Wirtschaftsministerium beruhigt: Die Konzerne haben laut Gutachten genug Geld, um die Folgen der Atomkraft zu bezahlen. Das sehen nicht alle so

Langwierig und teuer: Zerlegung eines Dampferzeugers im Zwischenlager Lubmin Foto: Stefan Sauer/dpa

von Berward Janzing und Malte Kreutzfeldt

BERLIN/FREIBURG taz | Die deutschen Atomkonzerne sind in der Lage, die Kosten des Rückbaus und der Entsorgung der Atomkraftwerke zu tragen. Das jedenfalls schließt das Bundeswirtschaftsministerium aus einem Gutachten der Düsseldorfer Wirtschaftsprüfergesellschaft Warth & Klein Grant Thornton. Es wurde am Samstag veröffentlicht, bewusst zu einem Zeitpunkt, als die Börsen geschlossen hatten. Als Mitte September Teilergebnisse des Gutachtens öffentlich geworden waren, brachen die Aktienkurse der Atomfirmen ein.

Nun soll der sogenannte Stresstest Entwarnung geben. Zum Jahresende 2014 hatten die deutschen Atomkonzerne in der Summe 38,3 Milliarden Euro an Rückstellungen in ihren Bilanzen. Dem stehen nach Einschätzung der Gutachter zu aktuellen Preisen Rückbau- und Entsorgungsverpflichtungen in Höhe von 47,5 Milliarden Euro gegenüber. Den Kostenüberhang sehen sie nicht als Problem, das Vermögen der Konzerne sei hoch genug.

Aber es bleiben Unsicherheiten, auf die die Gutachter, im Unterschied zum Ministerium, explizit hinweisen. So ist die Kostenschätzung für das Endlager für hochradioaktiven Müll von 8,3 Milliarden Euro nach Ansicht der Gutachter „veraltet“. Dennoch beruhen die Berechnungen auf diesem Wert. Unklar ist auch, wie sich Kosten, Zinsen und Vermögenswerte der Unternehmen entwickeln werden. Deshalb haben die Gutachter sechs Szenarien durchgerechnet, die eine gewisse „Bewertungsbandbreite“ ergeben. Im ungünstigsten Fall errechneten sie einen Finanzbedarf von 77,4 Milliarden Euro. „Praxisfremd“ nannten die Atomkonzerne dieses Szenario in einer Erklärung.

Dennoch versuchen die Wirtschaftsprüfer und das Ministerium Befürchtungen zu zerstreuen, das Geld könnte knapp werden. Sie rechnen vor, dass das Vermögen der Unternehmen, das zur Finanzierung der Entsorgung herangezogen werden könnte, in der Summe bei aktuell 83 Milliarden Euro liegt und damit höher ist als die Entsorgungskosten selbst im ungünstigsten Szenario. Allerdings müssten die Konzerne dafür fast ihr gesamtes Vermögen aufwenden. Zudem bezieht sich die Angabe auf alle Konzerne zusammen. Offen bleibt, ob das Vermögen bei jedem einzelnen Betreiber ausreicht, um die eigenen Entsorgungskosten zu decken.

Szenarien, in denen das Geschäftsmodell der Konzerne erodiert, werden kaum behandelt, obwohl Überkapazitäten und Strompreisverfall die Unternehmen bereits schwer zusetzen. Lediglich am Schluss findet sich eine ausdrückliche Warnung: „Aus diesen Feststellungen kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass die Finanzierung der künftigen Entsorgungskosten sicher ist.“

„Das bedeutet keine Entwarnung fürdie Steuerzahler“

Jochen Stay, Ausgestrahlt

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) kündigte an, dass das Kabinett am Mittwoch das schon länger angekündigte Gesetz verabschieden will, mit dem verhindert werden soll, dass sich Unternehmen durch Umstrukturierung um die finanzielle Verantwortung für die Atomkraftwerke drücken. Zudem soll eine Kommission eingesetzt werden, die die Finanzierung des Ausstiegs überprüfen soll. „Aus dem Gutachten ergibt sich darüber hinaus kein neuer Handlungsbedarf“, erklärte Gabriel.

Das sehen Kritiker anders. Sylvia Kotting-Uhl, atompolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, liest aus dem Gutachten heraus, dass das bisherige System der Rückstellungen „mit großen Unsicherheiten behaftet und schlicht nicht tragfähig“ sei. Nötig sei nun „schnellstens ein öffentlich-rechtlicher Fonds, in den die AKW-Betreiber einzahlen müssen – unter Beibehaltung ihrer Finanzierungspflicht“. Auch Jochen Stay von der Anti-Atom-Organisation Ausgestrahlt sieht „keine Entwarnung für die Steuerzahler“, unter anderem weil esmögliche Kostensteigerungen nicht ausreichend berücksichtige.

Meinung + Diskussion

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen