Stille Tage in der Zone

Verkehr Berlins erste „Begegnungszone“ in der kurzen Maaßenstraße in Schöneberg bietet viel Raum für Fußgänger, wenig für den Verkehr und gar keinen für Parkplätze

„Sorgsamer Umgang mit den Straßenmöbeln erhöht die Aufenthaltsqualität“: in der Schöneberger Maaßenstraße Foto: Stefan Boness/Ipon

von Claudius Prößer

Entschleunigung hat eine Farbe: moosgrün. Oder schultafelgrün. Ein gedeckter Ton jedenfalls, in dem nicht nur die Informationsschildern auf Berlins erster „Begegnungszone“ in der Schönebeger Maaßenstraße gehalten sind, sondern auch das Straßenpflaster in den Kreuzungsbereichen. Vermutlich attestieren Farbpsychologen dem kühlen Grünton beruhigende Wirkung, vielleicht soll er auch nur einen Akzent setzen und signalisieren: Hier läuft etwas anders.

Denn das ist die Idee hinter dem Konzept, das die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ersonnen und gemeinsam mit dem Bezirk Tempelhof-Schöneberg auf der kurzen Flaniermeile zwischen Nollendorf- und Winterfeldtplatz umgesetzt hat. Die „Spielregeln“ auf den Schildern erklären das Prinzip Begegnungszone: „Rücksicht und Achtsamkeit gehen vor“, heißt es da, „Alle haben Platz“ und: „Sorgsamer Umgang mit den Straßenmöbeln erhöht die Aufenthaltsqualität“.

Von diesen Möbeln gibt es eine ganze Menge in der für 700.000 Euro umgestalteten Straße. Schlanke graue Poller, silberne Aluminiumbänke mit und ohne Lehne, bunte Sitzbären für die Kids. Am auffälligsten ist die lange Schlange aus Betonwürfeln, bemalt mit Meerestieren und Palmeninseln. Einige tragen Buchstaben im Graffiti-Stil, die sich nach langem Hinsehen zu „Walk of Freedom“ zusammenfügen. Sie grenzen breite Flächen der ursprünglichen Fahrstreifen ab und schaffen Raum für Fußgänger.

Im Zusammenhang mit dem Begegnungszonen-Konzeptist immer wieder vom Prinzip des "Shared Space" die Rede, das in den 90er Jahren von Stadtplanern in den Niederlanden entwickelt wurde. Allerdings ist die Berliner Begegnungszone mit ihren Pollern, Fahrgassen und Verkehrsschildern eher die Antithese zum "Shared Space", bei dem gerade der Verzicht auf solche Elemente die Eigenverantwortung der Verkehrsteilnehmer fördern soll. (clp)

Ein mittelaltes Paar steht in der Herbstsonne und betrachtet die Komposition. „Bisschen kahl“, sagt die Frau, „ein paar Pflanzenkübel wären schön.“ Der Mann findet: „So ohne Menschen ist es eigentlich hässlich. Vielleicht muss man abwarten, bis es wieder warm wird.“ Was den Verkehr angeht, sind die beiden trotzdem mit der Umgestaltung einverstanden. Auf den breiten, aber von den vielen Cafés mit Tischen zugestellten Gehwegen habe es früher immer Konflikte mit Fahrradfahrern gegeben.

Jetzt sind die aufgemalten Radwege auf den Bürgersteigen Geschichte. Genau wie die Autos müssen Velos die Begegnungszone auf der stark verengten und kurvigen „Fahrgasse“ durchqueren, wo Tempo 20 gilt. Dass überhaupt Raum für den fließenden Verkehr bleibt, hat einen simplen Grund: Es gibt keine Parkplätze mehr. Nur Lieferfahrzeuge können an bestimmten Stellen halten. Vielleicht rührt daher der kahle Gesamteindruck.

Der Senat beschloss 2011 eine „Fußverkehrsstrategie“ für Berlin – ein Teil davon sind die Begegnungszonen, von denen vorerst drei entstehen: nach der Maaßenstraße die Kreuzberger Bergmannstraße und der Checkpoint Charlie. Alle sind geprägt von hohem Publikumsaufkommen. Weil die Einrichtung von Fußgängerzonen das Verkehrsproblem nur verlagern würde, lautet das Motto jetzt: Macht langsam und passt aufeinander auf. Dass „Rücksichtnahme nicht angeordnet werden“ kann, wissen aber auch Politiker. Ergo: „Im Idealfall ergibt sich dies aus der Straßengestaltung von selbst“, heißt es auf der Webseite der Verkehrsverwaltung.

Die „Spielregeln“ der Begegnungszone: Rücksicht und Achtsamkeit gehen vor

„Also ich finde das eine Geldverschwendung“, sagt ein Kellner vom „Eckstein“ am Winterfeldtplatz. „Und wenn ein Kind auf diesen Betonklötzen spielt und vor ein Auto fällt, nutzt es auch nichts, wenn das nur 10 km/h fährt.“ Er ist nicht die einzige kritische Stimme. Im Internet klagen Nutzer über den Verlust der Parkplätze oder die eigenwillige Ästhetik: „Eine von Phantasielosigkeit, grauenhafter Monotonie und geistiger Versteinerung der Planerhirne zeugende Zone“, wütet einer. Dabei ging der Umgestaltung eine ausführliche Bürgerbeteiligung mit Diskussionsabenden, Rundgängen und Online-Forum voraus.

Wie die neue Zone ankommt, wird sich zeigen. Ob sie ein Vorbild für die viel längere Bergmannstraße sein kann, bleibt auch dann offen. Im Rahmen des dort angelaufenen Beteiligungsverfahrens werden jetzt schon Stimmen laut, die das Projekt prinzipiell ablehnen.