piwik no script img

Elf Nervensägen müsst ihr sein

Giftzwerg Nach dem 1:0-Erfolg des FC Ingolstadt bei Werder Bremen wird zunehmend deutlicher: Der Bundesliga-Aufsteiger und seine unangenehme Spielweise sind auf Nachhaltigkeit angelegt

Trainer Ralf Hasenhüttl und seine Ingolstädter feiern, der Rest der Liga kratzt sich am Kopf Foto: dpa

aus Bremen Ralf Lorenzen

Wie in jeder normalen Personalentwicklung wird auch bei der Ausbildung zum Fußballer viel Wert auf die „weichen“ Faktoren gelegt, auf das Sozialverhalten in der Gruppe etwa. Ganz oben auf dieser Seite der Kompetenzliste steht schon im Jugendbereich die Bewältigung von Frusterlebnissen. Wie man mit denen auf keinen Fall umgehen sollte, zeigten die Akteure des SV Werder Bremen ab der 93. Minute im Spiel gegen den FC Ingolstadt.

Es stand nach einem ausgeglichen Spiel noch 0:0, da packte erst Verteidiger Assani Lukimya ungeduldig am Trikot von Mathew Leckie, der sich daraufhin dankbar fallenließ. Als Moritz Hartmann den fälligen Elfmeter verwandelt hatte, flog Philipp Bargfrede seinem Gegenspieler Alfred Morales so ungestüm in die Beine, dass Rot unvermeidlich war. Danach lud das Bremer Publikum seinen Ärger in Form einer Bechersalve bei Schiedsrichter Dankert ab, der von Regenschirmen geschützt die Kabine aufsuchen musste.

Wie so oft, wenn man sich eigentlich über die eigene Dummheit ärgert, bekamen andere die Schuld zugeschoben: „Die haben in der ersten Halbzeit schon auf Zeit gespielt“, moserte zu guter Letzt Werders Kapitän Clemens Fritz. „ Ich hatte nicht das Gefühl, dass die Ingolstädter die drei Punkte wollten. Jetzt haben sie es geschafft – keiner weiß, warum.“ So ahnungslos er tat, mit seiner Aussage löste Fritz einen Teil des Geheimnisses auf, warum die Ingolstädter als erster Aufsteiger in der Bundesligageschichte die ersten drei Auswärtsspiele gewonnen haben – alle drei mit 1:0. Diese Serie und der Sprung ins vordere Tabellendrittel verdanken sich nicht der Anfangseuphorie, mit der fast zu jedem Saisonbeginn ein Aufsteiger für Furore sorgt. Das Spiel der Ingolstädter wirkt kühl, kalkuliert und für einen Neuling erstaunlich abgezockt.

Am Samstag verstanden sie es, mit kleinen Verzögerungen und Fouls den Rhythmus der zuletzt zweimal siegreichen Bremer zu unterbrechen. Mitunter erinnerten die Kunstpausen bei Abschlägen, Einwürfen und der Pflege von Blessuren an die Einschläferungstaktik, die man früher gern italienischen Mannschaften nachsagte. Doch das waren nur die Akzente in einer stimmigen Gesamtkomposition, die da hieß: hinten einschläfern, vorne zuschlagen.

Das Spiel der Ingolstädter wirkt kühl, kalkuliert und für einen Neuling erstaunlich abgezockt

Trotz einiger Wackler bei Standardsituation stand die Elf von Trainer Ralph Hasenhüttl meist so kompakt, dass sich sein Gegenüber Viktor Skripnik schon zur Halbzeit gezwungen sah, seinen Joker Claudio Pizarro einzuwechseln. Der sollte bei seinem ersten Heimauftritt nach seiner Rückkehr auf der Zehnerposition Lücken im Ingolstädter Abwehrgeflecht ausmachen. Doch gerade im Zentrum hatte der Gast mit seiner 4-3-3-Formation Vorteile gegenüber Werders Mittelfeldraute.

Im Spiel nach vorn verfügt der Aufsteiger zwar nicht über ganz große Überraschungsmomente, aber die giftige Spielweise der Ingolstädter wird noch an den Nerven manchen Gegners nagen. Auch Werders Manager Thomas Eichin gab zu, noch nie „so einen Frust nach einem Spiel hier“ erlebt zu haben. Diesen lud er im Gegensatz zu den Spielern vor der eigenen Haustür ab und wollte die Mittel der Ingolstädter nicht als Ausrede gelten lassen. „Das ist eine ergebnisorientierte Liga“, sagte er. Es klang wie: Der Aufsteiger hat’s besser kapiert als wir.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen