piwik no script img

Shakespeare für die Massen

KLASSIKER „Leuchte, mein Stern, leuchte“ (1969) ist ein poetischer Film rund um die Wirren nach der Oktoberrevolution

von CAROLIN WEIDNER

Die ganze Geschichte um Alexander Mittas „Leuchte, mein Stern, leuchte“ (1969) ist so wunderlich, wie sie typisch ist. Eigentlich hätte es ihn nämlich fast nicht gegeben, diesen feinnervigen Film über drei Künstlerfiguren, kurz nach der Oktoberrevolution im Jahr 1920. Zweimal war eine Kommission über das kritische Drehbuch gestolpert. Dann sollte das Ende des bereits gedrehten Films geändert werden. Mitta konnte seines durchsetzen. Und schließlich, der fertige Film: direkt auf Eis gelegt. Als er dann doch einen Verleih findet, den ZK-Kontakten seines Hauptdarstellers Oleg Tabakow sei Dank, darf er weder in Moskau gezeigt werden, noch ist es Kritikern erlaubt, positiv über ihn zu berichten. Festivalverbot. Generelles Auslandsverbot.

Und dann: „Leuchte, mein Stern, leuchte“ taucht in der Bundesrepublik auf, wird ein Hit. Regisseur Mitta sagt, nach Tarkowskis „Stalker“ sei sein Film der deutschen Jugend der liebste gewesen. Am 17. September ist „Leuchte, mein Stern, leuchte“ im Filmmuseum Potsdam zu sehen – weil er auch einer der Lieblingsfilme des hiesigen Fördervereins ist.

Und es gibt viel an ihm zu mögen. Sei es sein Anfang, der den Helden Iskremas (Tabakow) auf einer Bauernkutsche zeigt. Durch ein Birkenwäldchen wird er gefahren. Buchstäblich. Denn anstatt sich um den richtigen Weg zu scheren, ist Iskremas in seine Shakes­peare-Ausgabe vertieft. Man sieht ihn lachen. Schnitt. Dann bitterlich weinen. Sofort ist klar, mit was für einem man es zu tun hat. Einem Liebhaber der Künste, einem Freigeist, einem Hoffnungsvollen, der natürlich genauso hoffnungslos verloren ist. Den Tag begeht er mit dem Ausruf: „Die Welt ist wunderschön!“ Iskremas hat sich der Kunst verschrieben, sein Name, eine Einkürzung des russischen „Is­kusst­wo revoluzii massam“, heißt so viel wie „Die Kunst der Revolution den Massen“.

Einer politischen Strömung fühlt er sich dennoch nicht verpflichtet. Er bleibt unkorrumpierbar. Und somit schutzlos. Mitta kann seinen Iskremas dafür umso besser als Anzeiger einsetzen, der das politische Durcheinander nach der Revolution und die sich gegenseitig bekämpfenden Gruppierungen sichtbar werden lässt. In „Leuchte, mein Stern, leuchte“ sind das die „Roten“, „Grünen“ und „Weißen“. Kommissare, Banditen, Offiziere. Sie alle passieren auch die Orte, an denen Iskremas Halt hat. Denn der fährt als Wanderschauspieler mit seinem Karren übers Land und verwandelt ihn auf den Marktplätzen zu seiner Minibühne.

Zweimal war eine Kommission über das kritische Drehbuch gestolpert. Dann sollte das Endegeändert werden

Dort steht plötzlich aber nicht mehr nur Iskremas, sondern auch Pasha (Jewgeni Leonow). Der führt immer wieder denselben Film vor. Pasha ist ein angepasster, ein zum Zyniker gewordener Künstler, der seine Integrität dem Überleben geopfert hat. Ihr Ringen um Zuschauer symbolisiert den Kampf der Kunst gegenüber pekuniären Interessen.

Mitta führt aber noch einen dritten Typus ein: das Genie. Es kommt in Form des beinahe stummen Fjodors (Oleg Jefremow), einem Maler. Fjodor bemalt die Äpfel an den Bäumen, die Wände in seinem Haus, Möbelstücke. Iskremas ist überwältigt, als er Fjodor begegnet. Als dieser erschossen wird, unter einem Apfelbaum, fallen alle Früchte. „Führe ihn ins Kalte“, hatte es zuvor geheißen. Mitta wiederholt den Schussmoment, den Schock, wieder und wieder.

Und dann ist da noch ­Kryss­ja (Jelena Proklowa), das Waisenmädchen, dem Iskremas begegnet, weil es ihn beschuldigt, im Besitz des Familienpferds zu sein. Das Pferd wird über Nacht gestohlen. Doch Kryssja bleibt, und Iskremas macht sie nach Fjodors Tod zu seiner Jeanne d’Arc. Jeder dieser Stränge ist leicht verständlich und hat gleichsam etwas Mysteriöses. Vielleicht passiert Letzteres durch die Zusammenführung. Die Teile kommunizieren miteinander, Theater, Film, Malerei, Rote, Grüne, Weiße. In einem Filmhandbuch hat Mitta geschrieben: „Wenn wir Filme machen, so zerlegen wir erst mal das Leben in Einzelteile, und danach bauen wir aus ihnen eine neue Realität zusammen, die Realität des Films, und in ihr muss die Lebenswahrheit erkannt werden können – erkannt, nicht einfach nur gesehen.“

Der Film wird im Filmmuseum Potsdam, Breite Str. 1a/ Marstall, am 17. 9. um 19 Uhr gezeigt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen