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„Wir trauen ihnen etwas zu“

Schwierige Jugendliche Der Intensiv-pädagoge Menno Baumann lehnt die Anpassungs-Pädagogik geschlossener Heime ab. Lieber setzt er auf die Fähigkeit der Jugendlichen, sich zu entwickeln

Menno Baumann

38, ist Professor für Intensivpädagogik an der Fliedner-Fachhochschule Düsseldorf und arbeitet als Bereichsleiter beim Jugendhilfeträger Leinerstift.

Interview Kaija Kutter

taz: Herr Baumann, Sie haben Deutschlands erste Professur für Intensivpädagogik inne. Warum arbeiten Intensiv-Heime mit Phasenmodellen?

Menno Baumann: Das ist der verzweifelte Versuch, lerntheoretische Konzepte in pädagogische Handlungskontexte zu integrieren. Ich halte davon nichts, weil ich glaube, dass diese „Wenn-dann-Pädagogik“ eben in schwierigen Fallverläufen kaum hilft. Statt einer solchen Form der Arbeit empfehle ich die Arbeit mit „echtem“ Feedback – dies setzt ein gewisses Zutrauen in den jungen Menschen voraus, sich aus sich selbst heraus verändern zu können. Der Mensch lernt mehr, wenn man sagt: Ich trau dir etwas zu. Auch wenn etwas nicht gelingt, verfahre ich eher nach dem Motto „und trotzdem“, raus aus dieser „Wenn-dann-Schleife“. Denn wenn wir ehrlich sind, ist es eine Mischung aus Erpressung und Bestechung.

Was lernen die Studenten bei Ihnen?

Genau das. Das sie Phasenmodelle nicht anwenden.

Und was ist dann Intensivpädagogik?

Sie müssen besonders in Deeskalationsstrategien ausgebildet sein. Mitarbeiter müssen in der Einzelfallarbeit besonders das Nähe-Distanz-Verhältnis reflektieren. Und pädagogische Diagnostik. Intensivpädagogik muss am Einzelfall arbeiten. Es gibt Kinder, zu denen auch wir sehr streng sind, ich muss nur wissen, warum.

Vergeben Sie auch Punkte?

Nein. Das sehe ich ähnlich kritisch wie die Phasenmodelle. Ich glaube kaum, dass das hilft. Ich habe mal einen Grundschüler erlebt, der krank war und den ganzen Tag mit dem Kopf auf der Tischplatte lag. Da gab ihm die Lehrerin zum ersten Mal fünf Pluspunkte. Weil, er hat ja an dem Tag nicht gestört. Da denke ich, dass kann es nicht sein. Punkte können Feedback sein, aber auch Strafe. Aber im Rahmen der Intensivpädagogik halte ich nicht viel von Punktesystemen.

Ist das Konsens in der Intensiv­pädagogik?

Nein. Es gibt viele Einrichtungen, die mit solchen Modellen arbeiten. Die anderen arbeiten in Richtung Traumapädagogik.

Was sieht dies aus?

Traumasensible Pädagogik bietet den Kinder einen sicheren Ort, wo sie sich geschützt fühlen. Sie geht davon aus, dass Druck bei diesen Kindern Angstpanik auslöst. Bedrohung löst bei diesen Kindern einen Überlebenskampf aus. Wenn ein traumatisiertes Kind in Panik ist, dann kämpft es um Leben und Tod. Viele Jungen und Mädchen, die gewaltauffällig sind, wurden als Kinder durch Erlebnisse traumatisiert. Ich arbeite mit Jungs, die aus der geschlossenen Unterbringung entlassen sind. Die hören unter Zwang nicht auf zu kämpfen.

Und was tun Sie dann?

Wir sagen, wir trauen ihnen zu, dass sie sich entwickeln. Ich hatte einen Jungen, der war in der geschlossenen Unterbringung abgelehnt worden und ist danach gleich wieder zehn mal angezeigt worden wegen Körperverletzung. Ich hab dafür gesorgt, dass körperlich fitte Mitarbeiter vor Ort waren und ein Security-Team verfügbar war, damit wir reagieren können, wenn es bei ihm zu Impulsdurchbrüchen kommt. In der offenen zutrauenden Arbeit haben wir seit einem Dreivierteljahr keinen negativen Vorfall gehabt. Unter Bedingungen einer geschlossenen Unterbringung wäre er im Kampf geblieben. Aber wir sagen auch: Wir müssen uns schützen. Aber nicht im Sinne von Unterwerfung. Hinterher sprechen wir normal miteinander und spielen Fußball.

„Traumasensible Pädagogik bietet den Kinder einen Ort, wo sie sich geschützt fühlen. Sie geht davon aus, dass Druck bei diesen Kindern Angstpanik auslöst“

In der Literatur zur Konfrontationspädagogik liest man von Stufen-Plänen zur Durchsetzung von Regeln, die damit enden, dass der Junge am Boden liegt.

Das ist ein No-go. Zur Durchsetzung von Regeln fassen wir kein Kind an.

Aber Sie setzen die Regeln?

Ja, zwei. Ich mache nichts kaputt. Und ich tue niemandem weh, auch nicht mir selber.

Und im Alltag? Gibt es eine enge Tagesstruktur?

Nicht für alle die gleiche. Es gibt bei uns sogar Jugendliche, die nicht an den gemeinsamen Mahlzeiten teilnehmen. Weil sie die soziale Gruppe nicht aushalten. Die brauchen eine individuelle Betreuung. Andere Jugendliche brauchen engere Rahmungen.

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