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Flanieren im alten Westen

KUNST URBAN Einst schenkten die britischen Alliierten Berlin fünf rote Telefonzellen – die nimmt jetzt die Kommunale Galerie Berlin zum Ausgangspunkt, um deutsche und britische Künstler zusammenzubringen

Souvenirs von Michael Hughes in einer Telefonzelle am Fehrbelliner Platz Foto: Kommunale Galerie

VON CHRISTINA STEENKEN

„Geschenk des 29. Signal Regiment (Berlin) – seit 1984 britisches Kontaktbataillon des Bezirkes Wilmersdorf“ steht auf einem Messingschild neben der Stelle, an der früher Hörer und Drehscheibe waren. Die rote Telefonzelle am Fehrbelliner Platz ist eine von ehemals fünf Telefonzellen, die als ein Geschenk der britischen Alliierten nach Berlin kamen. Drei der fünf stehen noch heute.

Verkörperten sie einst das britische Design in Perfektion sowie den technischen und wirtschaftlichen Fortschritt der Siegermacht Großbritannien nach dem Ersten Weltkrieg, sind die Telefonzellen dank individueller Mobiltelefone schon lange überflüssig. Eine Ausstellung der „Kommunalen Galerie Berlin“ unter der künstlerischen Leitung von Nicole Woischwill holt sie nun in das städtische Bewusstsein zurück: „One Square Metre – Photography meets Urban Art“ stellt die roten Telefonzellen in den Mittelpunkt und lässt sie von fünf Künstlern bespielen, die mit aktuellen Positionen deutscher und britischer Kunst von Fotografie, Malerei und Urban-Art arbeiten. Eine Werkschau zeigt zudem ausgewählte Arbeiten aller in der Galerie am Hohenzollerndamm.

Der britische Fotojournalist und Künstler Michael Hu­ghes zeigt in seiner Fotoserie „Souvenirs“ zum Beispiel typische Mitbringsel vor original Bauplätzen, die er gekonnt in Szene setzt, sodass beeindruckende optische Illusionen entstehen. So hält er etwa einen aufblasbaren Berliner Fernsehturm vor den wirklichen Fernsehturm – ein Bild, das den Betrachter irritiert und gleichzeitig verblüfft. Diese Souvenirs sind es, die man auch in der von ihm bespielten roten Telefonzelle am Fehrbelliner Platz wiederentdeckt: Eine Puppe von Queen Mum, der besagte aufblasbare Berliner Fernsehturm, eine Plastikfigur der Tower Bridge, sie hängen an Fäden von der Decke der Telefonzelle. Souvenirs sind somit die Verbindung zwischen der Ausstellung in der Galerie und der Telefonzelle.

Der Brite Slinkachu hingegen arbeitet mit Miniaturfiguren, die Szenen des Alltags darstellen. Seine „Little People“-Installationen platziert er im öffentlichen Raum, fotografiert sie und lässt sie dann in der Stadt zurück. Einige der Aufnahmen sind in der Galerie zu sehen. Dabei stellt Slinkachu den stark vergrößerten Ansichten der Modellfiguren jeweils ein Foto gegenüber, das die Szene im wahren Größenverhältnis in ihrer realen Umgebung in der Stadt zeigt. Ohne die Aufnahme im Detail wäre es sonst oft schwer, die Installation zu bemerken. Und so entdecken nur wenige besonders aufmerksame Passanten die Details.

Die Kunst ist flüchtig, kurzweilig, virtuell, verändert das Bild der Stadt

Blick für das Detail

Dieser Aspekt ist dem Künstler in seiner Arbeit besonders wichtig: das anonyme, flüchtige und unbewusste Leben in der Großstadt, in der so viele wichtige kleine Details in der Hektik nicht auffallen und verschwinden. Ähnlich wie Slinkachu und Michael Hughes porträtieren auch die anderen Künstler, Boxi, Klebebande Berlin und Joachim Seinfeld, das tägliche Leben und nehmen dieses als Grundlage ihrer gestalterischen Arbeiten.

Die Ausstellung repräsentiert damit urbane Kunst durch und durch: Sie ist flüchtig, kurzweilig, virtuell, verändert das Bild der Stadt und lädt zur Teilhabe ein. Die Betrachter sind stets angehalten, einen winzigen Kunstraum – eben einen Quadratmeter, wie der Name der Ausstellung sagt – für sich zu entdecken. Was außerdem besonders reizt, ist ihre Ausdehnung. Während drei der originalen Telefonzellen noch an ih­ren ursprünglichen Standorten zu finden sind, wurden zwei für die Ausstellung nachgebaut. Zu finden sind sie alle im Westen der Stadt. Die Ausstellung motiviert zum Flanieren und Treibenlas­sen: Sie führt nicht nur zu den verschiedenen Telefonzellen, sondern auch in die unterschiedli­chen Bezirke, die erkundbar wer­den, ihre Geschichte offenbaren und womög­lich eigene Erinnerungen wecken.

„One Square Metre – Photography meets Urban Art“: Kommunale Galerie Berlin, Ho­henzollerndamm 176, bis11. Oktober, Eintritt frei

www.kommunalegalerie-berlin.de

Nächster Termin: Artist Walk: Berlin calling London, mit Mi­chael Hughes und Joachim Seinfeld, 20. September, 14 Uhr

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