: Was bleibt von der Bauausstellung?
STADTENTWICKLUNG Ist nach IBA und IGS die Luft raus in Hamburg-Wilhelmsburg? Ein Streifzug ergibt ein anderes Bild. Neue Läden und Lokale werden eröffnet, betrieben von jungen Einheimischen. Städtische Akteure bremsen
von Annika Lasarzik
Knapp zwei Jahre sind vergangen, seit die Internationale Bauausstellung in Wilhelmsburg endete. Im Stadtteil ist es ruhiger geworden. „Die Ruhe nach dem Sturm“, sagt Lutz Cassel. Der Vorsitzende des Beirats für Stadtteilentwicklung beobachtet die Entwicklungen auf der Elbinsel seither genau. Kulturelle Vielfalt stärken, Infrastruktur und Umweltbilanz verbessern – Senat und Stadtplaner hatten sich eine Reihe hoher Ziele gesetzt. Mit rund 70 baulichen, kulturellen und sozialen Projekten sollte der arme Stadtteil in Aufbruchstimmung versetzt werden.
Und heute? In Lokalmedien hieß es jüngst, nach der IBA herrsche Katerstimmung in Wilhelmsburg. Von Ladenschließungen im Reiherstiegviertel war die Rede, von Resignation unter den Bewohnern. „Aufbruch und Resignation – beides trifft zu“, sagt Lutz Cassel. „Einige Investoren haben nach der IBA zwar das große Geschäft gewittert, sind dann aber schnell wieder abgezogen. Eine neue Schanze ist hier nicht entstanden“, sagt er und wirkt nicht eben enttäuscht.
Tatsächlich blieb der große Ansturm nach der IBA und IGS aus. Modeboutiquen wie „Wilhelmine“ und „Messie de Luxe“ mussten dichtmachen. Auch das „Restaurant Wasserwerk“ im Inselpark gibt es nicht mehr. Kurz nach seiner Eröffnung im Jahr 2012 war es im IBA-Magazin noch als „kulinarisches Highlight“ angepriesen worden. Im April musste Geschäftsführer Simon Marf das Restaurant dann „aus wirtschaftlichen Gründen“ schließen, wie es in einer Mitteilung der Betreibergesellschaft VHW Gastro heißt. Nach der Gartenschau kamen offenbar nicht mehr genug Gäste, die für Jakobsmuscheln und Kalbstatar bis zu dreißig Euro zahlen wollten.
Ist nach IBA und IGS also die Luft raus aus Wilhelmsburg? Beim Streifzug durchs Reiherstiegviertel ergibt sich ein anderes Bild. Neue Läden und Lokale werden eröffnet, betrieben von jungen Einheimischen. Nachdem die „Tonne“ am Veringkanal schließen musste, eröffnete die 28-jährige Mona Michels an gleicher Stelle den Musikclub „Turtur“, im aufgegebenen „Mittenmang“ zog Haschmat Abdul das „Flutlicht“ auf, eine Mischung aus Restaurant und Cocktailbar.
Im Frühjahr kam das Bistro „Kaffeeklappe“ in der Fährstraße hinzu, auch der Fahrradladen „Vélo 54“ und das Frühstückscafé „Bessere Hälfte“ haben sich etabliert. Kleine Erfolgsgeschichten und Beweise dafür, dass der Markt für Kultur und Szenegastronomie da ist. Aber auch dafür, dass es wohl besonderer Ortskenntnis und Empathie für die Bedürfnisse der Bewohner bedarf, um Fuß zu fassen.
„Schicke Restaurants und Designerläden passen nicht her, daran hat die IBA nichts geändert“, sagt Cassel. „Wer hier einen Laden eröffnet, muss den Bewohnern mit niedrigen Preisen entgegenkommen und sich an die Stadtteilkultur anpassen.“ Der Bedarf an Flächen für eine kulturelle Nutzung sei hoch – etwa am Veringkanal, wo Künstler Konzepte für eine kulturelle Bespielung entwickeln. „Umso ärgerlicher ist es, dass die städtische Sprinkenhof GmbH Räume im Gewerbehof Am Veringhof leer stehen lässt“, sagt Cassel. „Acht bis zehn Euro pro Quadratmeter sind zu teuer – dabei trägt die Sprinkenhof eine soziale Verantwortung.“
Hohe Mieten können sich auf der Elbinsel immer noch die Wenigsten leisten. 23 Prozent Hartz-IV-Empfänger, eine Arbeitslosenquote von zehn Prozent: Laut aktuellem Sozialmonitoring zählt Wilhelmsburg immer noch zu den ärmsten Stadtteilen Hamburgs. Ist das selbst erklärte IBA-Ziel „Aufwerten ohne verdrängen“ also erreicht worden? „Bisher ja“, sagt Lutz Cassel. Er verweist auf das Vorzeigeprojekt Weltquartier in der Veringstraße.
Bildungsforum vor dem Aus
Nachdem die Arbeitersiedlung klimafreundlich saniert wurde, konnten die alten Bewohner wieder einziehen. „Die Warmmieten sind minimal gestiegen, weil die Heizkosten niedriger waren – das sind schöne Ergebnisse.“ Leichte Mietsteigerungen sind allerdings doch zu beobachten: Zwar liegt Wilhelmsburg im aktuellen Mietenspiegel mit sieben Euro pro Quadratmeter unter dem Hamburger Durchschnitt. Wer umzieht, muss trotzdem mit höheren Preisen rechnen: Bei Internetportalen wie Immowelt kosten Mietwohnungen heute mehr als neun Euro pro Quadratmeter, kalt.
Nicht nur städtebaulich sollte sich Wilhelmsburg mit der Bauausstellung verändern. Mit der „Bildungsoffensive“ sollten Vereine, Schulen und Behörden besser miteinander vernetzt werden. Nun steht ausgerechnet das „Forum Bildung Wilhelmsburg“ (FBW) vor dem Aus. Die nach der Wilhelmsburger Zukunftskonferenz im Jahr 2002 gegründete Einrichtung war lange Dreh- und Angelpunkt der Bildungsarbeit im Stadtteil.
Doch nachdem mit dem Ende der IBA bereits vier Stellen aus der Bildungsoffensive weggefallen waren, strich die Schulbehörde in diesem Sommer die letzte halbe Stelle von Geschäftsführer Wilhelm Kelber-Bretz um 40 Prozent. Vom FBW organisierte Stadtteil-Projekte wie den „Kinderzirkus Willibald“ und die „Lese- und Forscherwochen“ soll es zwar weiter geben. Doch Kelber-Bretz ist ratlos: „Ich weiß nicht, wie ich auf dieser Basis weiterarbeiten soll“, sagt er.
Der Pädagoge sieht in der Sparmaßnahme ein schlechtes Signal: IBA-Neubauten wie die Elbinselschule oder das „Mediadock“ seien zwar große Gewinne für Wilhelmsburg. „Teure Vorzeigeprojekte allein sind aber nicht die Lösung, um langfristige Veränderungen herbeizuführen“, sagt er. Sein Vorwurf: Die bis 2013 „beispielhafte“ Vernetzung im Bildungsbereich werde vernachlässigt.
Aus seiner Sicht haben die Behörden wenig für eine Fortsetzung der Bildungsoffensive getan, etwa versäumt, Fördergelder für die mit der IBA auslaufenden Bildungsprojekte anzuwerben. In den Schulen fehle es an Fachkräften für Inklusion, in den Häusern der Jugend herrsche Personalmangel. „Die Politik ist offenbar nicht daran interessiert, einen aktiven Beteiligungsprozess weiterzuführen“, sagt Kelber-Bretz. „Hier sind große Chancen einer konkreten Bildungsentwicklung vergeben worden.“
Auch der frühere IBA-Projektkoordinator Gottfried Eich warnt vor dem Scheitern der Bildungsoffensive. Er verweist auf die Situation an Wilhelmsburger Schulen: „Flüchtlingskinder müssen in den Schulbetrieb integriert werden, die Zahl der Inklusionskinder ist mit etwa sechs Kindern pro Klasse höher als in anderen Stadtteilen“, sagt der Soziologe. Zudem hätten viele junge Wilhelmsburger unter 35 Jahren immer noch keine Berufsausbildung und lebten von Hartz IV.
Was haben IBA und IGS dem Stadtteil Wilhelmsburg gebracht? „Für ein Fazit ist es noch zu früh“, sagt Lutz Cassel. Er erkenne positive Entwicklungen, sagt er und nennt das Klimaschutzkonzept, den Imagewandel für die einstige „Bronx von Hamburg“, die Öffnung des Spreehafens und die neuen Sportanlagen im Inselpark. Doch beim Blick auf aktuelle Entwicklungen in Wilhelmsburg zeigt sich mehr denn je: Die IBA-Planer waren nie die einzige gestaltende Kraft in dem von Hafenwirtschaft und Industrie geprägten Stadtteil.
Hafenbehörde mischt mit
Gegen eine Freizeitnutzung des vom Zollzaun befreiten Spreehafens, etwa in Form eines Restaurant-Anlegers, stellte sich am Ende die Hamburg Port Authority (HPA) quer. Auch die Umsetzung eines Kulturkanals könne schwierig werden, da das westliche Ufer noch als Industriegebiet ausgeschrieben sei, warnt Cassel. „Weil der HPA die Flächen am Hafen gehören, kann sie Einfluss auf Bauvorhaben nehmen und die Weiterentwicklung des Stadtteils immer wieder behindern.“
Diese Erfahrung machte auch Felix Striegler. Gemeinsam mit anderen Kulturschaffenden wollte der Musiker eine leer stehende Schule am Neuhöfer Damm zur Kreativstätte umgestalten. Ateliers und Werkstätten sollten in dem Backsteinbau entstehen, mit der Eigentümerin HPA wurde über eine Zwischennutzung von sechs Monaten verhandelt. Material und Personal für Sanierungsarbeiten organisierten die Künstler selbst, die Kulturbehörde unterstützte das Vorhaben.
Kultur von unten
Kurz vor der Vertragsunterzeichnung im Sommer 2014 scheiterten die Verhandlungen. Teile der HPA sollen über die Pläne nicht in Kenntnis gesetzt worden sein, das Zwischennutzungskonzept fiel durch. „Das war extrem frustrierend“, sagt der 28-Jährige, der auch beim MS Dockville, dem Musikfestival 48h Wilhelmsburg und der Soulkitchenhalle mitgewirkt hat. „Neue Impulse im Kulturbereich gehen heute auf die Eigeninitiative der Anwohner zurück, von städtischer Seite passiert nicht viel“, sagt Striegler. „Und wenn die Ideen dann nicht mit Plänen der HPA oder der Sprinkenhof GmbH konform gehen, ist man einfach machtlos.“
Die Schule am Neuhöfer Damm steht mit ihren 3.000 Quadratmetern heute immer noch leer und ist frei „für eine Anmietung für Büroräume“, wie HPA-Sprecherin Sinje Pangritz sagt. „Wir sind an einer langfristigen Nutzung interessiert.“
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