: Vertrauen ist gut
Geheimnis Das Wolfsburger Wissenschafts- und Kunstfestival „Phaenomenale“ widmet sich angesichts aktueller Debatten dem Konflikt zwischen dem Schutz der Privatsphäre und der Forderung nach Transparenz
von Bettina Maria Brosowsky
Nach achtminütigem Sinkflug zerschellte der Germanwings-Flug 9525 am 24. März dieses Jahres in den südfranzösischen Alpen, alle 150 Menschen an Bord der Maschine kamen ums Leben. Die Ermittlungen ergaben, dass der Kopilot den Absturz vorsätzlich herbeigeführt hatte. Er litt unter psychischen Problemen, der Fluggesellschaft war das nicht bekannt. Vielleicht, weil ein behandelnder Arzt seiner Schweigepflicht folgte, um eine auf gegenseitiges Vertrauen bauende Therapie nicht zu gefährden.
In der Folge wurden ethische Codizes der Verschwiegenheit zur Debatte gestellt: Die Gefahrenprävention scheint angesichts des Terrorismus längst zum sakrosankten gesellschaftlichen Gebot geworden zu sein, um auch vermeintlich alte Zöpfe professioneller Geheimniswahrung infrage zu stellen. Wo aber liegen die Grenzen eines anvertrauten Geheimnisses?
Die gesellschaftliche Funktion und Wichtigkeit des Geheimnisses sowie das Paradox, dass es mit seiner Erläuterung schon wieder verschwindet, rückt nun das Wolfsburger Wissenschafts- und Kunstfestival „Phaenomenale“ in den Fokus. Mit über 30 Veranstaltungen verschiedener Sparten nimmt es sich des ethisch komplizierten Phänomens, aber auch seiner Gegenspieler wie der Verschwörungstheorie als vereinfachtem Wahrheitskonstrukt an. Deren Faszination etwa spürt die Gruppenausstellung „Operation Mindfuck“ nach und hinterfragt Konstruktionen von Wirklichkeit.
Im Programm allerdings fungiert das Thema Geheimnis nur als grobe Klammer. Während sich Workshops etwa mit Kryptografie oder digitaler Selbstverteidigung beschäftigen, verspricht eine Führung durch das Wolfsburger Schloss schlicht, Rätsel an verborgenen Orten unter die Lupe zu nehmen.
Geheimnis und Verrat
Eröffnet wird das Festival – eine Kooperation des Kunstvereins Wolfsburg, des Kulturwerks der Stadt, des Science Centers „Phaeno“ und des Instituts für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation – am Donnerstag mit einer Keynote Speech des Journalisten und Netzpolitik-Aktivisten Markus Beckedahl. Seit 2002 betreibt Beckedahl die Internetplattform Netzpolitik.org, die sich für digitale Bürgerrechte einsetzt und zu Fragen des Internets und seinen politischen wie ökonomischen Bedingungen veröffentlicht. 2014 wurde sie dafür mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet.
Kürzlich handelten sich Beckedahl und sein Kollege Andre Meister ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats ein. Denn auch in der Publizistik ist die Abwägung eines Informationsinteresses problematisch: Ist eine Veröffentlichung in den Medien angebracht, selbst wenn sie mit Gefahren für Leib und Leben konkreten oder abstrakten Ausmaßes verbunden sein könnte?
Anfang dieses Jahres stellten Beckedahl und sein Kollege Meister den Inhalt einiger, als vertrauliche Verschlusssache deklarierte Dokumente des Bundesamtes für Verfassungsschutz ins Netz und legten so die Organisationsstruktur einer geplanten erweiterten Überwachung der Telekommunikation, des Internets sowie gezielt auch einzelner Personen in sozialen Netzwerken offen. Diese anlasslose Massendatenerfassung und Auswertung käme der rechtlich wie politisch problematischen Praxis der NSA gleich, die Whistleblower Edward Snowden seit 2013 aufdeckt, argumentierten sie.
Konflikt zwischen Transparenz und Privatsphäre
Inzwischen wurde das Verfahren eingestellt, begleitet von kontroversen Diskussionen, ob die Informationen sicherheitsrelevante Qualitäten eines Staatsgeheimnisses besäßen oder die Veröffentlichung aus anderen Gründen unzulässig gewesen sei. Beckedahl und Meister hingegen berufen sich auf die grundgesetzlich garantierte Pressefreiheit und halten selbstverständlich ihre Informanten geheim.
Am Donnerstag spricht Beckedahl zum Thema „Geheimnisse und Datenschutz zwischen Transparenz und Kontrollverlust“. Der Ruf nach Transparenz, sagt er, sei in unserer Gesellschaft groß, ihr entgegen stehe aber die zu schützende Privatsphäre. Das sei ein Konflikt, der immer wieder neu auszuhandeln sei. Deutlich wird er etwa, wenn Anbieter wie WhatsApp komplette Bewegungsprofile und das Abgreifen privater Kontaktverzeichnisse zum technischen Standard machen.
Beckedahl aber sieht vor allem die Errungenschaften ortsunabhängiger Kommunikation, auch wenn sie in falschen Händen missbraucht werden können: Vertrauen sei eine Sicherheit, in die man sich fallen lassen könne. Um einen Vertrauensbruch aufzuzeigen, riskiert Markus Beckedahl dann notfalls eine Strafanzeige.
Denn es steht viel auf dem Spiel: Kein Individuum, kein Verhältnis zwischen Menschen ist ohne geheimnisvolles Vertrauen denkbar. Ohne Vertrauen als Vorschuss kann nun mal keine Gesellschaft, kein demokratischer Rechtsstaat, kein Miteinander der Individuen bestehen. Das Verborgene, Geheimnisvolle, Unwägbare: Es gehört konstitutiv dazu.
Do, 17. 9., bis So, 27. 9., Wolfsburg, diverse Orte
Internet: phaenomenale.com
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen