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Würdevolle Kulturnischen

Kultur Im silent green Kulturquartier im ehemaligen Krematorium Wedding startet jetzt der Konzertbetrieb

Das Herzstück von Silent Green: die zum Konzertraum transformierte Trauerhalle des Krematoriums mit den Urnen-Nischen, denen sich Silent-Green-Geschäftsführer Jörg Heitmann zuwendet Foto: Piero Chiussi

von Andreas Hartmann

Zu dem neuen Berliner Veranstaltungsort silent green geht es durch ein Tor, auf dem steht: „Krematorium Wedding“. Gleich daneben befindet sich ein Friedhof, im Hintergrund ragt ein riesiger Schornstein in die Höhe. „Seelenbeschleuniger“ nennt den Jörg Heitmann, Geschäftsführer des silent green Kulturquartiers, fast schon liebevoll. Die Asche von geschätzt einer Million Leichen wurde seit Inbetriebnahme des Krematoriums 1912 bis zu dessen Stilllegung 2001 durch den langen Schlund gejagt. Es gab Zeiten, berichtet Heitmann, da mussten die Nachbarn des Krematoriums morgens erst mal die staubigen Überreste von Frau Müller, die am Abend vorher in einem der Öfen gelandet ist, von der Fensterbank fegen. Jetzt überlegt Heitmann, ob er den Schornstein mal für eine Videokunstinstallation nutzen kann.

Ja, es ist ein besonderer Ort, der hier im Wedding, in freier Trägerschaft, mit Kunst bespielt wird. Wo einst der Tod allgegenwärtig war, zieht neues Kulturleben ein. Auch deswegen, und nicht nur, weil das ein beliebter Begriff aus dem Kunstjargon ist, spricht Heitmann gern von „Transformation“, um die es beim silent green gehe.

Mit silent green entsteht ein Ort, der auch ein Statement für den Wedding ist

Das Areal des silent green ist riesig. Um die 6.000 Quadratmeter stehen zur Verfügung, wovon sich der größte Teil der Fläche unter der Erde befindet. Dort, wo einst die Leichen eingelagert wurden und die Seziertische der Gerichtsmedizin standen. Dieser Bereich wird derzeit noch umgebaut. In den nächsten zwei Jahren werden hier Galerieflächen entstehen, und das Kino Arsenal wird seine Sammlung mit 10.000 Filmen unterbringen, ein öffentlich zugängliches Archiv soll entstehen.

Trauerhalle für Konzerte

Auch über der Erde gibt es noch einige Baustellen, so wird etwa die ehemalige Garage renoviert, in die das neu gegründete Harun-Farocki-Institut einziehen soll, das sich dem Vermächtnis des im vergangenen Jahr verstorbenen Berliner Filmemachers verschrieben hat. Doch diverse Büros und Musikstudios konnten schon bezogen werden, es gibt Tagungsräume und ein Restaurant. Das Musicboard Berlin und das hippe Elektroniklabel K7 residieren seit Kurzem hier. Auch die Berlinale wird ab dem nächsten Jahr mit von der Partie sein. Die für Videokunst und Installationen mit Bewegtbildern zuständige Sektion „Forum Expanded“ wird im silent green beherbergt werden.

Vor allem aber ist nun das Herz des Quartiers als Konzert­raum fertiggestellt, die ehemalige Trauerhalle des Krematoriums mit einer imposanten Kuppel und einer Aura, die für einen Veranstaltungsort in Berlin ziemlich einmalig ist. Die Kuppel ist gesäumt mit sogenannten Kolumbarien, in denen die Urnen der Toten aufbewahrt wurden. Wer den Raum betritt, kommt kaum darum herum, sich die eigene Vergänglichkeit zu vergegenwärtigen. „Kleine, intime, nette Konzerte“ sollen hier stattfinden, so Jörg Heitmann, auf Hardcorebands oder ähnlich Unsubtiles wird man verzichten müssen.

Auch weil die Besonderheit des Ortes in sämtliche Konzepte auf dem Areal miteinbezogen werden soll. Einige der Räumlichkeiten werden auch an Gastveranstalter vermietet, und da kamen schon Anfragen von Partyorganisatoren, erzählt Heitmann. Aber für Raves neben den Verbrennungsöfen ist er nicht wirklich aufgeschlossen – was auch etwas schade ist, denn „Technoparty im Krematorium“, das klingt eigentlich ziemlich nach Berlin.

Das leicht Morbide des Ortes allerdings, glaubt Jörg Heitmann, werde mit der Zeit weichen. Anfangs, so erzählt er, seien Begehungen der Leichenhalle noch etwas gruselig gewesen, inzwischen fühle er sich jedoch in dem frostigen Kellergemäuer „wie zu Hause“. Ein Hauch von schwarzem Humor wird dagegen bleiben. Beim Namen silent green denkt man schließlich sofort an den Science-Fiction-Film „Soylent Green“ mit Charlton Heston – und das ist durchaus beabsichtigt. In dem Film aber ist Soylent Green nichts anderes als zum Verzehr bestimmtes Menschenfleisch.

Mit dem neuen Kulturareal, das, so betont Jörg Heitmann, „kein kommerzielles Projekt“ sei, entsteht ein Ort, der auch klar ein Statement für den Wedding ist. Der Stadtteil gilt als ewig nicht eingelöstes Versprechen, boomen wie etwa Neukölln will er einfach nicht. Zuletzt gab es mit der Schließung des Veranstaltungsortes Stadtbad Wedding gar einen herben Rückschlag bei der Strahlkraft des Kiezes. Mit dem silent green soll nun wieder ein kultureller Magnet im ehemaligen Arbeiterbezirk für ganz Berlin entstehen. Mit gleich zwei Konzerten wird die Band Brandt Brauer Frick die Kuppelhalle Anfang September offiziell einweihen. Die Band scheint dem ungewöhnlichen Ort und dessen spezieller Akustik bereits voll zu vertrauen. Aus den Aufnahmen der beiden Auftritte soll ein Live­album entstehen.

Brandt Brauer Frick 9. + 10. 9., 20 Uhr, im silent green, Gerichtstr. 35. www.silent-green.net

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