: Zangen haben Hochkonjunktur
Ungarn Tausende Flüchtlinge bleiben an der komplett dichtgemachten Grenze hängen. Einige schaffen es dennoch nach Ungarn. Dort werden sie sofort festgenommen
Aus Röszke Ralf Leonhard
Ungarns Grenze zu Serbien ist jetzt dicht. In Röszke, wo bis Montag ein Grenzübertritt über die Gleise möglich war, steht jetzt ein ausrangierter Güterwaggon, der das Loch verrammelt. Der Grenzzaun links und rechts wurde im Eiltempo fertiggestellt.
Arbeiter und Polizisten verlegten Dienstag früh noch die letzten Stacheldrahtstücke. Internationale Networks und das ungarische Fernsehen berichteten live vor Ort. Die Armee hat ein 800 Mann starkes Grenzjägerbataillon von Pécs an die Grenze verlegt. Olivgrüne Jeeps fahren den Zaun ab. Selbst Reservisten wurden eingezogen.
Noch bevor um Mitternacht die neuen Fremdengesetze in Kraft traten, die den illegalen Grenzübertritt strafrechtlich ahnden, war diese letzte Lücke im Zaun verbarrikadiert worden. Polizisten bauten sich am Grenzstein auf und wiesen alle Ankömmlinge zum etwa einen Kilometer westlich gelegenen offiziellen Grenzübergang Röszke/Horgoš, wo Fußgänger und einspurige Fahrzeuge queren dürfen. Sie wurden bis Mitternacht nach Ungarn gelassen und gleich per Bus zum Bahnhof gebracht.
Dort fuhren den ganzen Tag Sonderzüge nach Hegyeshalom an der österreichischen Grenze. In der Nacht erschien dann Regierungssprecher Zoltán Kovács und erklärte der Presse, jetzt würden „drakonische neue Regeln“ gelten. Niemand werde mehr ins Land gelassen. Grenzübertritt sei ein Delikt.
Die Bilder auf den ersten vier Seiten dieser Ausgabe stammen von dem Fotografen Christopher Furlong. Sie entstanden am 14. September 2015 und zeigen Gegenstände, die Flüchtlinge im südungarischen Grenzort Röszke zurückgelassen haben
Am Montag seien noch 9.000 „illegale Migranten“ – so die ungarische Sprachregelung – aufgegriffen worden. Kovács räumte ein, dass der Zaun keine sympathische Einrichtung sei: „Wir hatten aber keine Wahl.“
In der etwa 15 Kilometer von der Grenze entfernten Stadt Szeged wurden bereits Richter zusammengezogen, die beschleunigte Asylverfahren abwickeln und über Abschiebungen entscheiden sollen.
Die ungarische Regierung hat am Dienstag den sogenannten Masseneinwanderungskrisenfall für die beiden südlichen Komitate Bács-Kiskun und Csongrád ausgerufen. Diese Komitate grenzen an Serbien, wo der 175 Kilometer lange Zaun zur Abwehr von Flüchtlingen verläuft. Der Krisenfall wird durch ein neues Gesetz gegen Flüchtlinge geregelt, das am Dienstag in Kraft trat. Es ermächtigt die Behörden etwa zu beschleunigten, faktisch rein formalen Asylverfahren.
Auf der serbischen Seite sammelten sich derweil Gruppen von Flüchtlingen, die zu spät kamen oder den Ernst der neuen Lage unterschätzt hatten. Eine Gruppe von 16 Syrern und Afghanen schnitt mit einem Bolzenschneider ein Loch in den Zaun. Die Männer wurden umgehend festgenommen Das Gesetz sieht vor, dass jene, die den Zaun beschädigen, drei bis fünf Jahre eingesperrt werden können. Trotzdem soll auf serbischer Seite der Absatz von Kneifzangen und Arbeitshandschuhen gestiegen sein. Bis Dienstagmittag war die Menge auf der serbischen Seite auf 3.000 Menschen angewachsen. Sie protestierten lautstark.
Die serbischen Behörden lassen die Leute passieren und wollen sie nicht zurück nach Serbien lassen. Also entstand in Horgoš binnen kürzester Zeit ein Zeltdorf, dessen Einwohnerzahl die der serbischen 5.700-Seelen-Gemeinde bald übersteigt. Die hygienischen Bedingungen an der Grenze waren zu Mittag bereits unhaltbar.
In den österreichischen Auffangzentren entlang der Grenze sind die Kapazitäten überschritten. Etwa 5.500 Flüchtlinge sollen im Laufe des Vormittags eingetroffen sein. Bei Nickelsdorf war zwischenzeitlich die Autobahn gesperrt, weil sich Flüchtlinge zu Fuß über die Ostautobahn auf den Weg ins 60 Kilometer entfernte Wien gemacht hatten. Das Rote Kreuz meldet entkräftete Menschen und einige kranke Kinder. Medizinische Notfälle seien aber keine aufgetreten. Flüchtlinge werden so schnell wie möglich auf andere Bundesländer verteilt.
Die Mobilisierung des Bundesheeres im Grenzbereich ist eher symbolischer Natur. Die Soldaten sollen der Polizei helfen, dürfen aber deren Aufgaben nicht übernehmen. Kontrolliert wird auch nur entlang der Straßen. Die grüne Grenze werde nicht überwacht, stellte Verteidigungsminister Gerald Klug klar.
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