piwik no script img

Ein Hausverbot kommt selten allein

FLUCHT Mohammed R. flog aus der Flüchtlingsnotunterkunft Überseetor – angeblich wegen Verletzung der Hausordnung. Er selbst sagt, weil er einer dort unerwünschten Ehrenamtlichen geholfen habe

„Ich bin frustriert und geschockt“

Mohammed R., ehemaliger Bewohner der Zeltstadt Überseetor

Zu den Vorwürfen gegen die Flüchtlings-Unterkunft Überseetor (taz berichtete) hat sich jetzt Bertold Reetz, Leiter der Wohnungslosenhilfe der Inneren Mission (IM) geäußert. Er sagt, Susanne Wagner*, die die von der IM betriebene Zeltstadt nicht mehr betreten darf, habe „gegen die Hausordnung verstoßen.“

Wagner hatte berichtet, ihr sei Hausverbot erteilt worden, nachdem sie sich um eine schwangere Frau gekümmert habe: Die wollte nach der Diagnose „Risikoschwangerschaft“ raus aus der Massenunterkunft, doch ihrer Bitte um Verlegung sei niemand nachgekommen. Weil sie in dieser Angelegenheit immer wieder interveniert habe, sei sie schließlich des Camps verwiesen worden.

Reetz hingegen sagt, Wagner sei in die Zeltstadt „gekommen und gegangen, wann sie wollte, ist auch nachts nach 22 Uhr zu Besuch gekommen – das geht nicht“. Das sei ihr auch gesagt worden, allerdings ohne Erfolg.

„Ich habe niemanden nach 22 Uhr besucht“, widerspricht die Beschuldigte. Sie habe lediglich auch spät abends noch Decken verteilt und Kranke zum Krankenhaus und wieder zurück begleitet, unter anderem gemeinsam mit dem syrischen Flüchtling Mohammed R.

Und der wurde vor drei Tagen ebenfalls der Zeltstadt verwiesen. R., der mittlerweile in einer Bremerhavener Unterkunft lebt, wollte am Sonntag seine alten „Mitbewohner“ besuchen. „Aber der Sicherheitsdienst befahl mir, das Camp zu verlassen“, berichtet er. Als Grund hätte ihm die Security gesagt, „ich hätte gemeinsam mit Susanne Wagner Hausverbot erhalten“.

Er habe protestiert, woraufhin die Polizei gerufen worden sei: „Die haben meine Personalien aufgenommen und gesagt, sie würden mich festnehmen, sollte ich mich jemals wieder in dem Camp blicken lassen.“

Reetz hingegen sagt, R. habe sich ebenfalls nach 22 Uhr in der Notunterkunft aufgehalten: „Der Sicherheitsdienst hat ihn gebeten, die Unterkunft zu verlassen und Herr R. hat respektlos reagiert.“ Mit Susanne Wagner habe das nichts zu tun, „und Hausverbot hat Herr R. ebenfalls nicht“. Aussagen gegen Aussagen also.

Und die wirken angesichts der Stellungnahme der Campleitung nur noch verwirrender: Dort heißt es nämlich, R. habe sich um 20.15 Uhr in der Notunterkunft aufgehalten, wo er Menschen um sich versammelt habe, „um ihnen Ansprachen zu halten und provozierte das Personal der Security“, die daraufhin gedroht habe, „die Polizei zu rufen und ein Hausverbot auszusprechen, falls er das Gelände nicht verlassen würde“ – was R. verweigerte.

„Ich habe für meine Brüder und Schwestern im Camp übersetzt, bin mit ihnen zum Dolmetschen ins Krankenhaus gefahren“, sagt R. „Ich hätte so eine Behandlung von Seiten der Verantwortlichen und der Security niemals erwartet. Ich bin frustriert und geschockt.“ SCHN

*Name geändert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen