Fußgänger gegen Radfahrer: Schwarzwälder Fallensteller
Im Südschwarzwald wurden lebensgefährliche Fallen für Mountainbiker aufgestellt. Waren es Wanderer, die von den Radfahrern genervt waren?
„Hier ist es gewesen“, sagt Manuel Schuble. Anfang Juni haben einer oder mehrere unbekannte Täter hier auf dem Trail zwei dünne Baumstämme aus dem Wald gezogen und wie ein Zeltdach über dem Trail aneinandergelehnt. Schnelle Fahrer, die den Berg herunterkommen, haben an dieser uneinsichtigen Stelle 25 Stundenkilometer drauf. Wäre ein Mountainbiker in voller Fahrt in die Falle geraten, wäre das nach Angaben der Polizei lebensgefährlich gewesen.
Am selben Tag wurden auch quergelegte Stämme und ein in den Boden gerammter Spieß auf dem Trail entdeckt. In derselben Woche hat jemand in Oberkirch bei Offenburg, gut 80 Kilometer weiter nördlich, Schrauben in Baumwurzeln auf einem Waldweg geschraubt und die Köpfe abgesägt. Ein Zusammenhang beider Vorfälle ist laut Polizei fraglich.
Die versuchten Anschläge haben die Mountainbikeszene schockiert. Man sollte den Verantwortlichen finden und an einen Baum nageln, sagt ein aufgebrachter Biker aus Offenburg. Einige Mountainbiker hatten die Wanderer im Verdacht, mit denen sie immer wieder aneinandergeraten. Der Schwarzwaldverein als Vertreter der Wanderer weist dies als Spekulation zurück und distanzierte sich ausdrücklich von den Angriffen auf die Biker. „Das können nur so Verrückte gewesen sein, die auch Steine von Brücken werfen“, sagt Mirko Bastian, Pressesprecher des Schwarzwaldvereins.
Wem gehören die Waldwege
Ein großangelegter Zeugenaufruf der Polizei mit Plakaten im Wald hat keine Spur zum Täter ergeben. Seitdem wird im Südschwarzwald aber heftig über das Verhalten von Freizeitsportlern im Wald diskutiert. Wem gehören die Waldwege? Sollten Mountainbiker und Wanderer grundsätzlich getrennte Wege nutzen? Wie hat man sich zu begegnen?
Manuel Schuble ist ein drahtiger Typ, Student, zweimal die Woche im Wald. Mindestens. In seinen 13 Jahren im Mountainbikesport ist er schon öfter auf querliegende Äste gestoßen, die möglicherweise bewusst deponiert waren. Als Biker werde er zum Bremsen oder Absteigen gezwungen. Ärgerlich für ihn, aber Lebensgefahr bestehe nicht. Wenn aber gefährliche Fallen auf einer eigens für Mountainbiker angelegten Sportanlage aufgestellt werden, erreiche der Streit im Wald eine neue Dimension. „Das ist, als ob man auf einem Fußballplatz Löcher gräbt, in denen sich die Spieler die Füße brechen sollen, weil sie bei ihren Spielen am Wochenende Krach machen“, sagt Schuble.
Schuble ist dritter Vorsitzender des Vereins Mountainbike Freiburg. Seine Vereinskollegen haben die Strecke nach der Entdeckung der Fallen inspiziert. Seither ist nichts derartiges mehr vorgekommen. Trotzdem fährt Schuble jetzt vorsichtiger, nicht mehr so frei wie bisher. „Das tut mir leid, die Borderline ist unsere Strecke, auf der wir schön schnell fahren konnten.“ Ausgerechnet jetzt, in der Hochsaison des Mountainbikens.
Der Streit, wem die Wege im Wald gehören, entzündet sich oft an der sogenannten Zweimeterregel, die es nur noch in Baden-Württemberg gibt. Wege, die weniger als zwei Meter breit sind, dürfen nur von Wanderern, nicht aber von Fahrradfahrern genutzt werden. Derzeit gibt es in Baden-Württemberg rund 80 Kilometer Singletrails speziell für Mountainbiker. Sie würden die Zweimeterregel gerne abschaffen, Wanderer wollen sie beibehalten, weil sie sich dadurch geschützt sehen. Politisch hält auch die grün-rote Landesregierung an der Regel fest. Gleichzeitig begrüßt das zuständige Verkehrsministerium das Mountainbikefahren im Wald ausdrücklich und wirbt dafür, per Ausnahmeregelung mehr Wege für Mountainbiker freizugeben.
Fernsehreporter auf der Suche
Die Borderline im Freiburger Stadtwald ist eine Downhill-Strecke, ganz allein für Mountainbiker. Große Verbotsschilder zeigen den Wanderern an, dass sie hier nicht auf die Mountainbikerstrecke abbiegen dürfen.
Manuel Schuble trifft im Stadtwald an diesem heißen Sommermorgen einen befreundeten Mountainbikefotografen, David Schultheiß. Er erzählt von der Begegnung mit einer Frau just zuvor weiter oben im Wald, wo sich Mountainbiker und Wanderer den Weg nach oben teilten. Die Frau habe sich beschwert, dass er dort langfahre. „Wir waren uns beide unsicher, ob das erlaubt ist oder nicht“, sagt Schultheiß.
Fernsehreporter seien nach der Entdeckung der Fallen einmal mit Zollstock durch den Wald gezogen, erzählt Schuble, und hätten gezeigt, wie unklar ist, wo ein Waldweg überhaupt anfängt und wo er aufhört, also wie breit er ist und ob ihn Radfahrer nutzen dürfen.
Es ist ein Dauerkonflikt
Die beiden Mountainbiker Schuble und Schultheiß kennen zwei Sorten von Wanderern: Die einen, die sich mehrfach bedanken, wenn die Biker absteigen, um die Fußgänger vorbeizulassen, und andere, die sich grundsätzlich im Recht fühlten und über Mountainbiker ärgerten. Es ist ein Konflikt in Dauerschleife, der sich täglich wieder abspielt, mit neuen Protagonisten an neuen Orten.
Ans Waldgesetz und die Zweimeterregel halten sich nicht alle Mountainbiker, das geben sie auch selbst zu. Es gibt keine Kontrollen im Wald. Wer die Regeln gelegentlich ignoriert, hat nichts zu befürchten. Zum Problem wird das vor allem rund um Ballungszentren wie Freiburg. Eine Studie von Studierenden der Universität Freiburg, Fachbereich Forst- und Umweltpolitik, konstatiert eine erhebliche Dichte von Erholungssuchenden in einem beispielhaft ausgewählten Waldstück bei Freiburg, dem sogenannten Kybfelsen, durch das ebenfalls ein Mountainbike-Downhilltrail führt.
Dieser Trail liegt ebenso wie die „Borderline“ direkt am Stadtrand, beide sind steil und reizvoll. Wanderer schätzen den stadtnahen sanften Aufstieg im Wald. Hinzu kommen vielleicht auch noch Geländejogger und Walker. Zur Rushhour nach Feierabend wird es eng im Wald, das wird in der Studie deutlich. Viele Leute sind nicht nur im Arbeitsalltag gestresst, sondern nehmen Anspannung und Frust möglicherweise auch noch mit in die Freizeit, lassen nicht einmal im Wald die Ruhe auf sich wirken, sondern sind unfreundlich, aggressiv und rechthaberisch. Betrachtet man den Wald als gesellschaftlichen Freiraum, in dem de facto niemand die Regeln kontrolliert, stimmt es wenig hoffnungsvoll, dass gerade bei solcher Freiheit schlechteste Eigenschaften zum Vorschein kommen.
Unter allen Begegnungen zwischen Wanderern und Fahrradfahrern seien die konfliktreichen in der Minderheit, sagt Mirko Bastian vom Schwarzwaldverein, der traditionell die Wanderer vertritt. Die Vorstellung von „Kampfszenen unter der Fichte“, wie eine Zeitung schrieb, sei überzogen. „Das Bild vom bösen Downhill-Mountainbiker bringt uns nicht weiter“, sagt Bastian. Er fordert verbindliche Regeln für das Verhalten im Wald. Ähnlich wie die zehn Regeln der FIS (Internationaler Skiverband), die auf Skipisten gelten und sogar von Gerichten herangezogen werden, um bei Unfällen die Schuldfrage zu klären. „Wenn wir zu so einem kodifizierten Regelwerk im Wald kommen, wären wir einen Schritt weiter.“
Die offiziellen Vertreter von Wanderern, Mountainbikern und Forst kommen in Freiburg gut miteinander aus. Sie haben diesen Sommer eine Initiative gestartet: „Gemeinsam Natur Erleben“ steht auf gelb-blauen Schildern, die künftig an Waldeingängen montiert werden sollen. Auf dem Schild begegnen sich ein stilisierter Mountainbiker und ein Wanderer. „Alle haben ein legitimes Interesse, an der frischen Luft zu sein“, sagt Bastian. „Der Mountainbiker genauso wie der Spaziergänger mit den verschränkten Händen auf dem Rücken.“ Er wünscht sich, dass man im Wald weniger „stoffelig“ miteinander umgeht. „Ein ‚Grüß Gott!‚ hilft da schon viel.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja