Wasservogelreservat auf Fehmarn: Ganz allein mit Chip und Chap

Ein Besuch im Wasservogelreservat Wallnau ginge ohne Freiwillige gar nicht. 25 Naturschützer halten hier den Betrieb am Laufen.

Jugendliche mähen Gras

Alena, Wencke und Johanna säubern den Durchfluss der Wasserpumpanlage. Foto: Franz Lerchenmüller

Alex und Niklas machen heute Küchendienst, Nadja verteilt die Flyer zum Kinderfest, Kathrin leitet ihre erste Kräuterwanderung. Irgendjemand müsste wieder mal die Kräuterspirale vom Ackerschachtelhalm befreien – aber nicht mit Rosmarin und Lavendel verwechseln! Und wer wagt sich daran, den schwarzen Schmadder aus dem Modellpumpwerk zu schöpfen, auch wenn da vielleicht Blutegel drin sind? Finn?

Finn geht ins Wasser. Zwei Dutzend junger Frauen und Männer sitzen im weiten Saal der Nabu-Station und legen gemeinsam mit Nikola, der stellvertretenden Leiterin, den Tagesdienst fest. Leere Müsliteller und Saftpackungen stehen auf dem langen Tisch, auf Wäscheständern trocknen Handtücher, Kicker, Hängematte und Billardtisch verleihen dem Raum das Flair einer bestens ausgestatteten Jugendherberge.

Wie ein grüner Fleck liegt das Wasservogelreservat Wallnau im weizengelben Einerlei der Getreidefelder an der Westküste der Insel Fehmarn. 1976 hat der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) mit Hilfe von Partnern das 300 Hektar große Gelände gekauft und am Rande der Brackwasserteiche, Wiesen, Schilfgürtel und Gehölzstreifen eine Beobachtungsstation eingerichtet.

Sieben Festangestellte kümmern sich um Finanzen, Personal und Organisation, jeweils zwischen zehn und 25 Freiwillige – im Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ), im Bundesfreiwilligendienst (Bufdi), als Praktikanten oder einfach als Ehrenamtliche – halten den Betrieb am Laufen.

Fehmarn: Mit 185 Quadratkilometer Fläche ist die „Sonnen­insel“ nach Rügen und Usedom die drittgrößte Insel Deutschlands. Die Bewohner leben von der Landwirtschaft und vom Tourismus. Raps- und Getreidefelder, große Höfe, Campingplätze und Windkraftanlagen prägen das Bild der Insel. www.fehmarn.de

Wasservogelreservat: Es wird vom Nabu unterhalten und hat bei Ornithologen wie interessierten Laien einen guten Ruf. Der Lehrpfad und die Unterstände sind das ganze Jahr geöffnet, das Infozentrum ist von 1. 11. bis 28. 2. geschlossen. Tel.: 04372 1002, mail@NABU-Wallnau.de, www. nabu-wallnau.de

Feste Fehmarnbeltquerung: Höchst umstritten ist der Plan, Deutschland und Dänemark mit einem Absenktunnel zu verbinden. Mit einer Länge von 17,6 Kilometer wird die Feste Fehmarnbeltquerung der längste bisher geplante kombinierte Eisen­bahn- und Straßentunnel sein. Kritiker befürchten ökologische Schäden, Einbrüche für den Tourismus und ein Ausufern der Kosten. Bauherr Femern A/S: www.femern.d; Kritiker: www.beltquerung.info

Eine sorgfältig gepflegte Kulturlandschaft

Das Reservat ist keine unberührte Natur, sondern sorgfältig gepflegte Kulturlandschaft, war es schon seit dem 19. Jahrhundert, als es eingedeicht wurde und in den Teichen Karpfen wuchsen. Seit der Nabu das Gelände übernommen hat, mäht er die Wiesen, hält die Felder mit Hilfe von Galloway-Rindern und Konik-Pferden frei von Büschen und Schilf und bietet so Hunderttausenden von Zugvögeln, die von Ost nach West und von Nord nach Süd und wieder zurück unterwegs sind, einen gut besuchten Rastplatz.

Die drei 18-jährigen Frauen aus Kassel, Dortmund und Göttingen haben eben Abitur gemacht. Na, und jetzt? Kein Studium? Ja, schon – aber was? Im Freiwilligen Ökologischen Jahr wollen sie sich darüber klar werden. Vor einer Woche haben sie angefangen. Sie sprühen noch vor Begeisterung: Jede und jeder macht hier alles. Man repariert Zäune, bespaßt Kinder, backt Pizza, zählt Vögel ...

Den Besucherrundgang um 11 Uhr leitet heute Daniel – elf Monate „Bufdi“, alter Hase. Drei Familien mit Kindern und ein älteres Paar haben sich versammelt – rund 30.000 Touristen sehen sich jedes Jahr die multimediale Ausstellung und das Gelände an. Nach einer Einführung in den Gebrauch der Ferngläser geht es ins Freie. Hunderte von Goldregenpfeifern rasten auf der gerade mal zwanzig Meter entfernten Insel vor dem Unterstand – so nah kommt man ihnen nirgendwo sonst.

Ein freiwilliges ökologisches Jahr im Vogelrevier

Bekassinen waten durchs Wasser, ein paar Sandregenpfeifer trippeln im Sand, und das Entenweibchen, das sich gerade putzt, ist eine Stockente, deutlich zu erkennen am „Spiegel“, dem blauen Rechteck unter den Flügeln – die Krickente weiter hinten hat einen grünen. 53 Vogelarten hat Svenja, die Bufdi-Ornithologin, vor einer Woche gezählt. 270 Arten wurden bisher insgesamt in Wallnau ausgemacht. Über der Wiese führen zwei Kiebitze Luftkunststücke vor. Ein Säbelschnäbler fischt den Teich ab.

Eineinhalb Stunden dauert der Rundgang und führt am Wildbienengarten, am Froschteich und an zahlreichen Mitmachstationen vorbei. Quiekt da am Salzteich ein Schwein? Von wegen: Es ist der Rothalstaucher, der deutlich klarmacht, wer auf diesem Gewässer das Sagen hat. Wenn die neuen Freiwilligen kommen, hat er besonders Grund, genervt zu sein. „Die werden alle am Anfang einmal nachts in den Teich geworfen“, verrät David. „Mit Klamotten.“

Zeit zum Mittagessen. Alex und Finn haben Makkaroni mit Tomatensoße gekocht. Martin löffelt bedächtig, neben ihm kratzt Jo den Teller aus. Der eine, 28, gelernter Mechatroniker, hat 2008 seinen Zivildienst hier geleistet und kommt immer mal wieder zurück: Traktor reparieren, Mähbalken nachschleifen, was so anfällt in der Metallwerkstatt. Der andere, stolze 80, gelernter Zimmermann und Innenarchitekt, verbringt seit 15 Jahren zwei Monate im Sommer in Wallnau.

Traktor reparien, Vogelhäuser bauen

Er sägt Bauteile für Vogelhäuser, spitzt Zaunpfähle, was sich eben so ergibt an Schreinerarbeiten. Zwischen 100 und 150 Menschen unterschiedlichen Alters wechseln sich hier jedes Jahr ab. „Leute mit handwerklicher Ausbildung nehmen wir bevorzugt, ach was: mit Kusshand“, sagt Norbert, der für die Personalplanung zuständig ist.

Auch Hannah ist heute in die Station gekommen, Papierkram erledigen und die Gasflasche wechseln. Die Studentin der Biogeowissenschaft wohnt seit März allein in einer Hütte im Naturschutzgebiet Krummsteert-Sulsdorfer Wiek. Dort, an der Orther Bucht, wacht sie darüber, dass Touristen das Gebiet nicht betreten und kartiert die Brutvögel.

Teichrohrsänger und Rotschenkel belauschen

Vor Sonnenaufgang macht sie sich zwischen Stranddiesteln und Meerkohl auf den Weg durch die Salzwiesen und späht und lauscht und trägt auf ihrer Karte ein, wo sie Teichrohrsänger, Rotschenkel oder Rothalstaucher regelmäßig ausmachen kann – was heißt, dass sie wahrscheinlich dort brüten. Chip und Chap, die Sandregenpfeifer, haben sich sogar direkt vor ihrer Hütte niedergelassen und zwei Junge aufgezogen.

Heute ist es trocken – nervt die Arbeit nicht, wenn es mal schüttet? „Es gibt Tage, an denen man einfach nass werden muss“, lacht die 23-Jährige mit voller Überzeugung. Und nie, nie, nie wird ihr langweilig? „Keine Sekunde. Ich sehe Vögel balzen und schlüpfen, ich sehe frische Gelege und tote Tiere – der Kreislauf ist mir so nah, ich bin Teil des Ganzen.“

Nikola, die41-jährige gelernte Kommunikationswissenschaftlerin, ist auch Ansprechpartnerin für das Thema „Feste Beltquerung“. Dass seit ein paar Jahren der Bau eines höchst umstrittenen Tunnels zwischen Deutschland und Dänemark geplant ist, hat den Nabu auf die Barrikaden gerufen. Im Norden der Insel, wo der Wasseraustausch mit der Nordsee größtenteils stattfindet, soll auf 20 Kilometer Länge eine 60 Meter tiefe und 100 Meter breite Rinne in die See gebuddelt werden.

Das blaue Andreaskreuz der „Beltretter“

Die Naturschützer befürchten, dass über lange Zeit Sediment aufgewirbelt wird, das Pflanzen und Muscheln das Licht raubt. Fische, die auf Sicht jagen, finden keine Beute mehr, Schweinswale keine Fische mehr – „die Summe der Dinge ist die Katastrophe“, sagt Nikola.

Inzwischen prangt deshalb auch an vielen Höfen, Pensionen und Gärten Fehmarns an der Station das blaue Andreaskreuz der „Beltretter“. Der Nabu sucht die Zusammenarbeit mit Kurdirektoren, Anglern, Ferienhausbesitzern, Fährlinienbetreibern und aufgeschreckten Anwohnern der künftigen Bahntrasse. Mitarbeiter und Freiwillige gestalten Infostände, diskutieren auf Podien und lassen Gutachten für das Planfeststellungsverfahren erstellen. „Wir müssen einfach klarmachen, dass es blöd ist, eine Riesenmenge Geld auszugeben für etwas, das absolut niemand braucht“, sagt Nikola.

Aber manchmal braucht auch Nikola ein wenig Abstand von all den quirligen, wissbegierigen, engagierten, dann auch wieder lustlosen, unzuverlässigen und unselbstständigen jungen Leuten. Dann nimmt sie sich abends, wenn die Besucher längst gegangen sind, ein Glas Wein, setzt sich in einen Unterstand und sieht zu, wie die letzten unermüdlichen Schwalben Schlick für ihre Nester holen, der Reiher stocksteif im Schilf lauert und eine Eule lautlos über den Abendhimmel streicht. „Dann komme ich zu mir. Dann weiß ich wieder, wofür wir das alles machen.“

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