: Begegnung mit Biografien
FLUCHTGESCHICHTEN Seit 27 Jahren setzt sich der Verein Bergedorfer für Völkerverständigung für Geflüchtete ein. Nun werden in einer Ausstellungs- und Veranstaltungswoche Kunst- und Biografie-Projekte präsentiert
von Robert Matthies
Es ist ihr ein Herzensanliegen, das schon ihr halbes Leben prägt. Seit 27 Jahren setzt sich die Bergedorferin Girija Harland leidenschaftlich für die Bedürfnisse und Rechte von Menschen ein, die auf der Flucht vor Krieg, Hunger, politischer Verfolgung oder unerträglichen Lebensbedingungen in den Hamburger Bezirk gekommen sind.
1988, als die erste bezirkliche Unterkunft für Geflüchtete in Bergedorf eingerichtet wurde, folgte die heute 54-Jährige einem Aufruf der damaligen Bezirksamtsleiterin Christine Steinert (SPD). Ehrenamtliche HelferInnen wurden gesucht, um die rund 120 Menschen aus dem Iran und dem Libanon, der Türkei und Afghanistan zu unterstützen, etwa bei Behördengängen, bei der Erledigung der Formalitäten, als DolmetscherInnen und durch die Sammlung von Kleider- und Sachspenden.
Gut vernetzt
Harland und eine Handvoll MitstreiterInnen gründeten gemeinsan den Verein Bergedorfer für Völkerverständigung. Seit 23 Jahren ist sie nun die Vereinsvorsitzende. Im Bezirk ist Harland gut vernetzt, die Arbeit des Vereins ist im Bezirk anerkannt und erst im Januar wurde Harland für ihr Engagement mit dem Bergedorfer Bürgerpreis ausgezeichnet.
Auch die Zusammenarbeit mit Behörden, sagt die Sozialpädagogin, die die Probleme der Geflüchteten auch aus ihrer Arbeit in einer Beratungsstelle des Jugendamtes gut kennt, sei immer „ein ganz enges Hand-in-Hand-Arbeiten“ gewesen. Auch weil der Verein im Bezirk in all den Jahren zur zentralen Anlaufstelle ehrenamtlicher Arbeit mit Geflüchteten geworden ist. „Wir sind die einzige Organisation in Bergedorf, die in allen Wohnunterkünften aktiv ist“, sagt Harland.
Die Bergedorfer für Völkerverständigung koordinieren die Arbeit von rund 100 Ehrenamtlichen in zwölf Unterkünften, darunter drei Unterkünfte für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Heute kümmert sich der Verein um das ganze Spektrum der alltäglichen Lebensbewältigung, hilft mit Deutschkursen, Vorschularbeit und bei den Hausaufgaben, bietet Spielgruppen und Ferienangebote für Kinder, Sport- und Kursprogramme an und organisiert Sommer-, Weihnachts- und Kulturfeste. „Was auch immer gebraucht wird“, sagt Harland.
Viel Wert legen die engagierten BergedorferInnen dabei auch auf Öffentlichkeitsarbeit, informieren in Kooperation mit anderen Initiativen und Trägern über die Situation in den Krisenherden der Welt und in den Unterkünften hier. „Damit in der Bevölkerung das Verständnis wächst“, erklärt Harland: „Warum kommen Menschen hierher, was wünschen sie sich? Und wie können sie einen Platz in unserer Mitte bekommen?“
Große Resonanz
Tatsächlich ist die Resonanz groß, erst recht vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung. 15 Freiwillige, sagt Harland, hätten sich im vergangenen Monat allein über die Internetseite beim Verein gemeldet. Auch bei Informationsveranstaltungen sei die Resonanz enorm, ergänzt Dieter Wagner von der Initiative Fluchtpunkt Bergedorf. Rund 80 Interessierte hätten sich vor Kurzem im Anschluss an eine gemeinsame Veranstaltung beider Initiativen gemeldet.
Vor zwei Jahren habe Wagner mit rund 20 anderen die Initiative Fluchtpunkt gegründet, um eine Gruppe von Geflüchteten aus Westafrika, die vor der Bedrohung durch Rechtsradikale in Sachsen-Anhalt nach Hamburg geflohen ist, zu begleiten und unterzubringen, erzählt er. Gemeinsam mit den Bergedorfern für Völkerverständigung organisiert die Initiative seitdem auch Infoveranstaltungen und Benefizkonzerte.
Am Sonntag nun beginnt das umfangreichste Projekt, das die Bergedorfer Flüchtlingshelfer bislang organisiert haben. Fünf Wochen lang wird die Ausstellung „Den Flüchtlingen eine Stimme geben!“ im Bergedorfer Haus im Park zu sehen sein, dazu gibt es eine dreiteilige Veranstaltungsreihe, in der unter anderem Biografie-Projekte und ein Filmprojekt vorgestellt werden, die im Verlauf des vergangenen Jahres rund um die Arbeit in den Unterkünften entstanden sind.
Entstanden sei die Idee im Anschluss an eine gemeinsame Vortragsreihe, erzählt Harland. „Dort haben wir über die Situation in Syrien, im Irak und im gesamten Nahen Osten sowie über das Leben in den Unterkünften informiert“, sagt sie. „Dann haben wir gesagt: Die Menschen selbst haben auch etwas zu sagen und möchten zu Wort kommen.“
Den Einzelnen sehen
Denn den einzelnen Menschen zu sehen sei wichtiger denn je, wenn nur noch von riesigen Massen die Rede sei, sagt Harland. Nach einem Austauschtreffen aller ehrenamtlichen DeutschlehrerInnen sind deshalb biografische Schreibwerkstätten entstanden.Dazu gesellten sich schnell weitere Projekte. Das Integrationsprojekt „Move“ des Internationalen Bundes steuert den Film „Move – oder vom Hören und Sagen“ bei, der sich mit der Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen in Wohnunterkünften auseinandersetzt.
Eine spanische Journalistin hat gemeinsam mit einer befreundeten Fotografin Fotos von syrischen Geflüchteten mit Audiobiografien zum Thema Ankommen in der hiesigen Gesellschaft verknüpft. Und ein palästinensischer Künstler, der ebenfalls vor dem Krieg in Syrien geflüchtet ist, hat Porträts von Kindern gemalt.
Bei einer einmaligen Ausstellung soll es nicht bleiben. Geplant sei ein Katalog, sagt Wagner. Als Wanderausstellung soll sie dann Schulen, Stadtteil- und Kulturzentren in ganz Hamburg angeboten werden.
Eröffnung: So, 23.8., 19 Uhr, Haus im Park, Gräpelweg 8, Ausstellung bis Mi, 30.9., Mo–Fr 9–18 Uhr,Filmprojekt „Move – oder vom Hören und Sagen“: Do, 27.8., 19 UhrLesung von Lebensgeschichten: Do, 3.9., 19 Uhr
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