: Ein Widerling in Weiß
Klinik-TV Mit der historischen Krankenhaus-Serie „The Knick“ zeigt Filmregisseur Steven Soderbergh, warum es gut ist, dass er nun Fernsehen macht. Hauptakteur ist ein drogensüchtiger Chefchirurg (22.30 Uhr, ZDFneo)
von Jens Mayer
Ein Mann erwacht benebelt in einer Opiumhöhle in Chinatown. Torkelnd verlässt er das fragwürdige Etablissement und gibt einem Kutschfahrer die Anweisung, ihn ins Krankenhaus zu bringen. Gut so, will man ihm beipflichten, dort bekommt er hoffentlich die Hilfe, die er zu benötigen scheint, zumal er sich auf der Fahrt auch noch eine Kanüle Kokain zwischen die Zehen injiziert. Doch weil es sich hier um eine zeitgemäße TV-Serie handelt, ahnen die Zuschauer bereits, dass dieser Typ kein bemitleidenswerter Junkie ist, der von einem patent strahlenden Halbgott in Weiß à la Professor Brinkmann aus „Die Schwarzwaldklinik“ wieder auf den richtigen Weg gebracht werden wird. Stattdessen handelt es sich bei ihm um Dr. John Thackery (Clive Owen), den genialen Chirurgen des New Yorker Knickerbocker-Krankenhauses, kurz: „The Knick“.
Herausforderung Fernsehen
Mit Filmen wie „Sex, Lügen und Video“, „Traffic“ oder „Ocean’s Eleven“ wurde Regisseur Steven Soderbergh zu einem der innovativsten und erfolgreichsten Filmemacher der letzten 25 Jahre. Vor zwei Jahren verkündete er seinen vorläufigen Rückzug aus dem Filmgeschäft, weil er die aktuelle Entwicklung der Branche kritisierte, um sich ausschließlich der Fernseharbeit zu widmen. Seine Verfilmung der Biografie des Entertainers „Liberace“ für den Pay-TV-Sender HBO, mit Michael Douglas und Matt Damon, erhielt glänzende Kritiken und zahlreiche Auszeichnungen. Der Trend ist offensichtlich, seit Jahren widmen sich ambitionierte Hollywoodakteure wie Kevin Spacey und David Fincher (“House of Cards“) oder Frank Darabont (“The Walking Dead“) der Realisierung von erfolgreichen Fernsehserien. Hier haben sie noch die Möglichkeit, herausfordernde und mehrdimensionale Geschichten und Charaktere zu entwickeln, die bei den milliardenschweren vorformatierten Blockbuster-Perversionen, die aktuell die weltweiten Kinocharts beherrschen, nicht mehr denkbar sind.
Für den Bezahlfernsehsender Cinemax entwickelte Soderbergh zusammen mit den Autoren Jack Amiel und Michael Begler die Serie „The Knick“ und führte bei sämtlichen zehn Folgen der ersten Staffel Regie. Die Serie spielt im Jahr 1900 und verlangt den Zuschauern bereits in den ersten Minuten Nervenstärke ab. Die Notoperation an einer Schwangeren wird zum Blutbad, das weder die Mutter noch das Neugeborene überleben, der Chefchirurg begeht daraufhin Selbstmord und sein Nachfolger Thackery erweist sich nicht nur charakterlich als drogensüchtiger Widerling, sondern auch noch als unverhohlener Rassist, der den schwarzen Anwärter auf die Stelle des Assistenzarztes verunglimpft.
Anders als andere beliebte Historiendramen ist Soderberghs Ansatz auch filmisch deutlich dunkler und experimenteller. Mithilfe der Handkamera, düsterer Ausleuchtung und einem enervierenden Elektro-Soundteppich erzeugt er die nötige Distanz, um die Gefahr des „Wohlfühlfernsehens“ gar nicht erst aufkommen zu lassen.
„The Knick“ ist auch gar nicht darauf aus, zum klinischen Quotenrenner wie „Die Schwarzwaldklinik“, „In aller Freundschaft“ oder „Grey’s Anatomy“ zu werden; man kann sich die Serie nur schwerlich im Hauptprogramm vorstellen – und dafür ist sie auch nicht gedacht.
Soderbergh nutzt die Möglichkeiten und künstlerischen Freiheiten, die ihm das serielle Erzählen eröffnet, als Experimentierraum. Nur so können Sujet und Medium weiterentwickelt werden, nur so steht am Ende wieder eine neue und wirkungsvollere Methode. So gesehen muss sich auch der strahlende Professor Brinkmann bei seinem anrüchigen Vorgänger Thackery für dessen unermüdlichen Einsatz bedanken, denn ohne dessen Vorarbeit hätten Typen wie er sich niemals auf ihren unantastbaren Halbgottstatus im Hauptprogramm ausruhen können.
ZDFneo zeigt die erste Staffel von „The Knick“ dienstags ab 22.30 Uhr als Free-TV-Premiere in Doppelfolgen
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