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It‘s rainingMirabellen

Obst Bildungsministerin Johanna Wanka machte Mundpropaganda für Landlust in der Stadt

Verzehr von Großstadtobst ist unbedenklich, wenn es gut abgewaschen wird

Auf einer wilden Wiese stehen drei bräunliche alte Kisten. Darauf sorgfältig drapiert ein Korb mit Brombeeren und kleine Äpfel, denen man ansieht, dass sie nicht aus dem Supermarkt stammen. Ein bisschen Landlust mitten in Tempelhof-Schöneberg.

Dazwischen steht Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) im floralen Sommerkleid und wirbt für Streuobstwiesen wie diese. „Esst mehr Obst“ war gestern, „Esst mehr wildes Obst“ lautet ihre Botschaft.

Mithilfe des Obstes, das wild auf Wiesen, Alleen und Höfen in Städten wächst, könne grob ein Fünftel bis eine Sechstel des Obstbedarfs der Deutschen gedeckt werden, rechnet sie vor. Und der liegt immerhin bei rund 5,5 Millionen Tonnen. Ziel ihrer Mundpropaganda ist es, die Wiesen in der Nachbarschaft populärer zu machen.

Wankas Komplizen sind dabei, die Macher der Homepage mundraub.org, einer interaktiven Karte im Internet, auf der NutzerInnen frei im öffentlichen Raum verfügbare Obststräucher und -bäume verzeichnen können.

Bei rund 25.000 NutzerInnen hat die Homepage die offizielle Publicity eigentlich nicht nötig, dennoch beschwert sich Gründer Kai Gildhorn natürlich nicht über die Werbung für seine Idee, die vor sechs Jahren aus einer Bierlaune heraus entstanden sein soll. Dabei ist gar nicht genau klar, wer hier mehr von wem profitieren möchte. Trends wie das Abernten von Streuobstwiesen oder Urban Gardening kommen aus der Bevölkerung und lassen ein Bewusstsein für die Natur und den Wert eigener Arbeit erkennen. Im öffentlichen Diskurs sind sie positiv besetzt.

Die Politik hat das offenbar erkannt und möchte mit Aktionen wie dieser, die offiziell zur Initiative Zukunftsstadt des Bildungsministeriums gehört, ihren Teil vom Gute-Laune-Kuchen abhaben.

Für Fotos klettert Wanka auf eine Leiter, pflückt und verkostet sogenannte Kirschpflaumen. „Ein bisschen affig, aber okay“, kommentiert sie den eigenen Auftritt und hat damit recht.

Es ist ein typischer Sommertermin, bei dem alle Anwesenden, JournalistInnen wie Offizielle, nicht mit kritischen Fragen nerven wollen. Da das Schaupflücken mit Bildung und Forschung, den Themengebieten der Ministerin, wenig zu tun hat, ist auch Ina Säumel vom ­Institut für Ökologie an der TU Berlin zu dem Termin eingeladen.

Sie erläutert, dass man nach ihren Untersuchungen Obst von den Streuobstwiesen der Großstadt unbedenklich verzehren kann, wenn es gut abgewaschen wird. Für Gartenprojekte in der Nähe von Hauptstraßen empfiehlt sie, Nichtessbares am Straßenrand und Nutzpflanzen im Inneren des Gartens oder in Hochgärten unterzubringen.

Zum Abschluss des Termins schüttelt Mundraub-Gründer Kai Gildhorn einen Obstbaum. Wanka steht mit Fangtuch darunter, mitten im schönsten Mirabellenregen.

Das ist Politik, die schmeckt.

Ronny Müller

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