: Zwischen Transparenz und Vertuschung
Ausstellung „Unsichtbare Manöver – Interpretationsreservate und Definitionsreviere“ in der GalerieWedding widmet sich den neuesten Strategien des Unsichtbarmachens in Politik und Wirtschaft
VON Tom Mustroph
Baulich gesehen ist die im Parterre des Rathauses Wedding gelegene kommunale Galerie Wedding ein echter Transparenzraum. Eine breite Glasfront erlaubt Einblicke in den Ausstellungsraum. Bei bestimmtem Lichteinfall wird die Glasfront aber zum Spiegel. Statt zu sehen, was im Inneren passiert, sehen die Wartenden an der benachbarten Bushaltestelle sich selbst und die Fassaden der gegenüberliegenden Häuser. Die Künstlerin Silvia Beck hat diesen Aspekt der „natürlichen“ Undurchdringlichmachung durch das gewöhnlich als Transparenzbaustoff gepriesene Material Glas noch weiter verschärft. Hinter das Gitterwerk eines Teils der Fensterfront der Galerie brachte sie das Porträt einer mit einer großen Sonnenbrille ausgestatteten Frau, die mit ihrer Hand zudem noch Blicke abwehrt, an. Sie schuf eine Beobachterin, die sich selbst weitgehend der Beobachtung entzieht und dem Beobachter zugleich ein Spiegel ist. Das mag ein schönes Spiel sein.
Angesichts des Ausmaßes an Überwachung durch den Staat und die Vertuschung dieser Überwachung – siehe NSA-Skandal –, angesichts der Attacken des Staates gegen die, die auf Überwachung und Vertuschung hinweisen – siehe „Landesverrats“-Skandal um netzpolitik.org – und angesichts der kommerziellen Datensammelwut, die die Grenzen des Privaten und Intimen nicht mehr achtet, wirkt diese Arbeit denn aber doch zu harmlos und verspielt. Denn eigentlich hat die Ausstellung Großes vor. Sie will die Regulierungstechnologien von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit untersuchen und zielt dabei explizit nicht auf poetische Vexierspielchen ab. Vielmehr geht es laut kuratorischer Vorbemerkung um Massenbeobachtung als extreme Sichtbarmachung, geheim verhandelte Abkommen als Unsichtbarmachung und den Bereich fahlen Lichts aus Lobbyismus, Schattenbörsen und Schattenbanken. Ganz so forsch sind die insgesamt sieben ausgewählten Arbeiten dann aber doch nicht.
Burat Delier liefert in seinem Video von Büroangestellten, die in zum Teil komplizierten Yoga-Positionen Auskunft über ihr Arbeitsleben geben, die erwartbaren Aussagen über Druck und Stress und wie die Beteiligten damit umgehen. Francis Hunger verschenkt in seinem sparsam aus Texttafeln und Fotografien komponierten Film über die Geschichte von Datenbanken das gute Thema der Verknüpfung von allem mit allem und verliert sich in der Frage, ob Programmierer nun die SA oder die SS der Globalisierung seien. Nadia Kaabi-Linkes Projekt „Faces“ gibt den Fotomodellen einer Großausstellung über das angeblich wilde Afrika im Jahre 1899 zwar wieder Würde zurück. Sie mussten sich auf Anweisung des Chefkolonialisten und späteren Diamantenkönigs Cecil Rhodes in Kriegsbekleidung und mit Waffen ablichten lassen. Kaabi-Linke löst sie aus den Gruppenfotos und präsentiert sie in individuellen Porträts, wobei sie Wert auf die Gesichter anstelle der kriegerischen Accessoires legt. Das ist sicherlich eine interessante Arbeit, die allerdings im Kontext von Überwachung und Verschleierung etwas deplatziert wirkt.
Relevanter ist da schon „Tape 342“ von Susan Schuppli. Die Londoner Künstlerin geht den abenteuerlichen Erklärungen des Weißen Hauses nach, warum ausgerechnet aus einem aufgezeichneten Gespräch des damaligen US-Präsidenten Richard Nixon, in dem es um die Verhaftungen bei der Watergate-Affäre ging, achtzehneinhalb Minuten fehlten. Nixons Sekretärin Rose Mary Woods performte dabei vor dem Untersuchungsausschuss den später berühmt gewordenen „Mary Rose Stretch“: Sie griff mit ausgestrecktem Arm zum Telefon und berührte mit ausgestrecktem Fuß die Fußraste, mit der sie den Löschvorgang eingeleitet hätte. Spätere Untersuchungen ergaben, dass ihr dieses Malheur mindestens fünfmal hintereinander hätte unterlaufen müssen – und dass manche Löschungen gar nicht durch die Fußraste, sondern durch Bedienung von Tasten mit der Hand ausgelöst waren.
Informationscamouflage
Ein Foto dieser Streckung der Mary Rose gehört denn auch zur Arbeit Schupplis – ein tolles Exponat im Subgenre Informationscamouflage, dem aktuelle Untersuchungsausschüsse sicher noch das eine oder andere Stück zugesellen werden.
Eine interessante Strategie der Sichtbarmachung von Diskursen betreibt Juliane Zelwies. Sie ließ den Toronto Debattierclub die Argumente von Pro und Contra zur Immigration austauschen. Sie waren hier mal nicht mit politischen Interessen kontaminiert. Die bei Immigrationsgegnern festgestellten Verlustängste konnten als Reaktion auf befürchtete Folgen der neoliberalen Gesellschaft selbst identifiziert werden. Das konnte man zwar auch vorher wissen. Ein Problem durch das strenge formale Regelwerk eines Debattierklubs durchzujagen, bringt aber Klarheit. Dieses Manöver innerhalb der „Unsichtbaren Manöver“ ist gelungen.
Galerie Wedding, Müllerstr. 146/7, Di.–Sa. 12–18 Uhr, bis 29. 8., www.galeriewedding.de
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