piwik no script img

Falsch gedeutet

Fernsehen Der WDR will die Gehörlosensendung „Sehen statt Hören“ künftig nicht mehr mitfinanzieren

von René Martens

Das Team, das beim Bayerischen Rundfunk das wöchentliche Magazin „Sehen statt Hören“ produziert, ist eigentlich gerade guter Dinge. Denn die einzige Sendung für Gehörlose im hiesigen Fernsehen feiert in diesem Jahr ihr 40-jähriges Jubiläum. Eine zu diesem Anlass ausgerufene Mitmach-Aktion ist bei der Zielgruppe gut angekommen. Die Zuschauer sind aufgefordert, Videos aus ihren Alltag einzuschicken, die dann teilweise in der Sendung laufen.

Und Ende September, anlässlich des Internationalen Tages der Gehörlosen, will Isabel Wiemer, die beim BR für „Sehen statt Hören“ zuständige Redakteurin, in einer Schwerpunktsendung eine große Frage auf die Tagesordnung bringen: „Was muss getan werden, damit Menschen mit Hörbeeinträchtigung und Gehörlose in der Mitte der Gesellschaft ankommen?“

Weniger neue Sendungen

Getrübt wird die Laune der Macher indes durch die Sparbestrebungen des Koproduktionspartners WDR. Vor wenigen Tagen machte der Blog Medienmeister bekannt, dass sich die Kölner aus der Finanzierung des Magazins, das im BR samstags um 9.45 Uhr läuft, zurückziehen wollen. Der BR, der die „programmliche Hoheit“ habe, trage zwar „den Löwenanteil“ der Kosten, sagt Isabel Wiemer. Es wäre dennoch „schmerzlich, wenn es denn so käme, dass der WDR ab 2016 seinen Koproduktionsanteil zurückzieht“. Man werde dann „prüfen“ müssen, ob man künftig noch so viele neue Sendungen produzieren könne wie bisher. Noch ermöglicht das Budget 32 bis 35 Neuausgaben jährlich. Sonst laufen Wiederholungen, vor allem im Sommer. Sollte der BR die Wiederholungsquote erhöhen, würde das dem Publikum auch deshalb auffallen, weil sämtliche Ausgaben ohnehin zwölf Monate lang in der Mediathek stehen.

Wiemer betont, „Sehen statt Hören“ sei „das einzig originär barrierefreie Angebot im deutschsprachigen Raum“. Das heißt, dass Untertitel und Gebärdensprache kein Zusatzangebot sind. Die Sendungen werden in Gebärdensprache moderiert, Untertitel sind immer im Bild eingeblendet. In der jüngeren Vergangenheit hat das Magazin sowohl über Seniorenzentren für Gehörlose berichtet, als auch über Probleme gehandicapter Flüchtlinge aus Syrien und über Gewalt gegen gehörlose Frauen. Alle reden über Inklusion, bei „Sehen statt Hören“ wurde der Begriff bisher auch mit Leben gefüllt.

Für den WDR ist der Ausstieg jedoch beschlossene Sache. Den Termin habe man gegenüber dem BR seit „zwei Jahren kommuniziert“, sagt WDR-Sprecherin Renate Streit. Zum einen ziehe man sich aus Spargründen zurück, zum anderen, weil die Sendung „in dieser Form überholt“ sei. Streit deutet an, dass der WDR bereit gewesen wäre, weiterhin Geld beizusteuern, wenn die Sendung zu einem Online-only-Magazin umkonzipiert worden wäre.

Meinte der WDR es ernst mit der Inklu­sion, müsste er hinter der Sendung stehen

Sendeplatz um 6.05 Uhr

Im WDR-Gesetz ist in Paragraph 4 unter „Programmauftrag“ festgeschrieben, der Sender solle mit seinen Angeboten zur „Förderung der sozialen und gesellschaftlichen Integration“ beitragen. Meinte der WDR es also ernst mit der Inklusion, müsste er vielmehr darauf hinwirken, dass „Sehen statt Hören“ besser sichtbar wird und das Programm nicht nur online versenken. Die Sendung läuft zwar in sämtlichen Dritten Programmen, ist aber nur schwer auffindbar, im HR etwa kommt sie samstags zu nachtschlafender Zeit um 6.05 Uhr. In Skandinavien sei die Situation vergleichsweise komfortabel, sagt Isabel Wiemer, dort liefen Sendungen für Gehörlose auch in der Prime Time.

Die Entscheidung des WDR in Sachen „Sehen statt Hören“ reiht sich ein in die nicht eben minderheitenfreundliche Politik der Senders. Seit einigen Wochen ist geplant, das Magazin „Cosmo TV“ einzustellen (taz berichtete). Die Sendung richtet sich hauptsächlich an Migranten und läuft seit 2003. Damals hatte sich der WDR noch mit seiner „Integrationsoffensive“ gerühmt. Der Rundfunkrat muss der Absetzung zustimmen. Das Gremium tagt am Dienstag.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen