: „Wilhelms Gastarbeiter“
Führung Das Deutsche Auswandererhaus erklärt die Geschichte der „Ruhrpolen“
taz: Herr Bongert, wer sind denn die „Ruhrpolen“?
Christoph Bongert: „Ruhrpolen“ sind polnischsprachige Arbeitsmigranten, die während der Kaiserzeit aus den deutschen Ostgebieten ins Ruhrgebiet einwanderten. Die östlichen Gebiete – wo viele Polen lebten – waren vor allem agrarisch geprägt, weshalb viele ins industrialisierte Ruhrgebiet migrierten, um dort zu arbeiten. Bis zum Ersten Weltkrieg gab es etwa 400.000 bis 500.000 dieser polnischen Einwanderer. Ich nenne sie auch „Kaiser Wilhelms Gastarbeiter“.
Hatten sie mit Diskriminierung zu kämpfen?
Die Ruhrpolen waren offiziell deutsche Staatsbürger. Dennoch wurden sie aufgrund der polnischen Sprache und der mehrheitlich katholischen Religion als Fremde wahrgenommen. Vom Reich gab es die Germanisierungspolitik, die Polen unter Druck setzte, „deutscher“ zu werden. Die polnische Sprache wurde aus der Öffentlichkeit verbannt: In Schulklassen war sie verboten – aber auch auf Grabinschriften. Sogar das Tragen von Kleidung in den polnischen Nationalfarben rot und weiß wurde nicht erlaubt. Dazu kamen noch Verbote polnischer Vereine.
Wieso galt Schalke 04 als „Pollackenverein“?
Der Verein wurde nicht von Polen gegründet. Aber aufgrund seines Sitzes in Gelsenkirchen waren in der Anfangszeit die meisten Spieler Söhne oder Enkel von polnischen Einwanderern. Viele Spieler hatten daher polnisch klingende Nachnamen, weshalb der Verein von vielen als „polnisch“ wahrgenommen wurde. Als Schalke 1934 deutscher Meister wurde, berichtete eine Zeitung in Warschau, dass die „Mannschaft unserer Landsleute“ gesiegt hätte.Was passierte später mit den Ruhrpolen?
Nach dem Ersten Weltkrieg ebbte die Einwanderungswelle der Polen ab. Aus der Weimarer Republik wanderten zwei Drittel der Ruhrpolen entweder nach Frankreich oder in das neu gegründete Polen aus. Die Übriggebliebenen waren spätestens nach der dritten Generation ziemlich eingedeutscht. Von der Bevölkerung wurden sie als Deutsche wahrgenommen. Heute sieht man Spuren dieser Gruppe vor allem in polnischen Namen wie Schimanski. Sie haben die Kultur des Ruhrgebiets mit geprägt, sind aber heute nicht mehr als spezifische Gruppe identifizierbar.
Interview: Thomas Kreutz
Sonntag, 10.30 Uhr, Deutsches Auswandererhaus, Columbusstraße 65, Bremerhaven
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