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Eine langsame Integration nach einem schnellen Abzug

ISRAEL Zehn Jahre nach dem Truppenrückzug leben die ehemaligen Siedler wieder in eigenen Häusern

Die düsteren Prognosen des nationalreligiösen Lagers haben sich bewahrheitet

Aus Nitzan SUSANNE KNAUL

Das provisorische Auffanglager Nitzan ist beinahe menschenleer. 600 israelische Familien aus dem Gazastreifen verbrachten hier die ersten Jahre nach dem einseitigen Truppenabzug Mitte August 2005 in Mobilhäusern, bis sie neue Eigenheime errichten konnten. Rund ein Drittel wartet noch immer auf die staatlichen Baugenehmigungen in den neuen Nachbardörfern Nitzan und Beer Ganim.

„Uns aus dem Gazastreifen rauszuholen, ging ganz schnell“, schimpft Mochi Beter, Direktor des Besucherzentrums im alten Nitzan. „Ein Regierungsentscheid, das Okay des obersten Gerichtshofs und zack, zack, alle raus.“ Erst danach mahlten die bürokratischen Mühlen wieder in gewohnt langsamem Tempo.

Allein das für die Landwirtschaft vorgesehene Land in Bau­land umzuschreiben, habe Jahre in Anspruch genommen. „Nur ein Fünftel der Bauern aus Gusch Katif (im Gazastreifen, die Red.) betreibt heute wieder Landwirtschaft.“ Beter berichtet von hoher Arbeitslosigkeit, Teilzeitarbeit oder Arbeitsstellen, für die die Leute fehlqualifiziert seien. Bereits vor fünf Jahren hielt eine staatliche Untersuchungskommission fest, dass der Staat bei der Reintegration der ehemaligen Gaza-Siedlern „grundlegend und absolut versagt hat“.

21 Siedlungen mit rund 9.000 Menschen ließ der damalige israe­lische Ministerpräsident Ariel Scharon räumen. Der Abzug, so hoffte er, sollte die angespannte Region, in der es immer wieder zu Terroropfern unter israelischen Zivilisten und Soldaten gekommen war, beruhigen. Das Gegenteil passierte. „Anstelle eines Friedensabkommens und Ruhe, gab es Raketen und Tunnel, durch die sich die Terroristen nach Israel schleichen wollen, um Terroranschläge zu verüben.“ Beter schüttelt den Kopf über die „politische Fehlentscheidung“, die ihm sein Heim kostete.

Zu dem Besucherzentrum „gehören die Ausstellungsräume, ein Archiv und die Forschungsarbeit über soziale Folgen und Israels Sicherheit“, erklärt er. 26 Jahre lang lebte Beter in Newe Dkalim, der größten Siedlung von Gusch Katif, kurz „Gusch“, der „Block“, wie die Is­rae­lis in Gaza die beschlagnahmte Region nannten. Rund 40 Prozent des winzigen Landstreifens gehörte zum Gusch. Auf den restlichen 60 Prozent drängen sich 1,3 Millionen Palästinenser.

Israel eroberte den Gazastreifen im Sechstagekrieg 1967, und die Siedler waren die neuen Herren. Sie suchten sich die schönsten Ecken und bauten ihre großzügigen Einfamilienhäuser direkt ans Mittelmeer. Die hochwertigsten Salate, Dill, Petersilie, garantiert ohne Chemikalien und trotzdem frei von Ungeziefern, kamen aus den israelischen Siedlungen im Gazastreifen. Ohne die permanente Gefahr von Überfällen, ohne Sicherheitszaun, Militärpatrouillen und die gefährlichen Autofahrten von der Siedlung bis zum Grenzübergang nach Israel wäre die Idylle perfekt gewesen.

Mit dem einseitigen Truppenabzug entstand ein Machtvakuum im Gazastreifen. Die islamistische Hamas feierte sich selbst als die siegreiche Kraft, die die Zionisten in die Flucht geschlagen hat, und gewann kurz darauf die Parlamentswahlen. Gut ein Jahr später kam es zur palästinensischen Spaltung; die Fatah war zum Rückzug aus dem Gazastreifen gezwungen.

Drei Kriege fochten Israel und die Hamas seit dem Abzug aus. Jedes Mal landeten Raketen auch in Nitzan. Die düstersten Prophezeiungen des nationalreligiösen Lagers hatten sich bewahrheitet. Die Integration der Zwangsumgesiedelten war gescheitert, und friedlicher war es auch nicht geworden. „Es hat sich nicht gelohnt“, resümiert Beter. Er ist sich sicher, dass es so umfangreiche Siedlungsauflösungen wie vor zehn Jahren „nie wieder geben wird“.

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