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Fünf Takte „Je t‘aime …“

KONZERT Mick Harvey versuchte sich im Silver Wings am Erbe Serge Gainsbourgs. Sein Ehrgeiz galt dabei eher der gelungenen Übersetzung von Liedtexten als dem musikalisch-stimmlichen Reichtum

von René Hamann

In Barcelona gab es einmal eine Beatles Bar, also eine Bar, die sich dem Gedenken an die Fab Four aus Liverpool widmete. Sie lag in einem entlegenen Stadtviertel und wartete jeden zweiten Tag mit einer Beatles Coverband auf: drei leicht betagte Herren, Synthie, Gitarre, Gesang, die Stücke von „George Charrison“ und den anderen präsentierten; die musikalische Qualität kann man sich ungefähr vorstellen. Die Mühe, die Stücke ins Spanische oder Katalanische zu übertragen, haben sich die Herren nicht gemacht.

Womit wir bei Mick Harvey wären. Harvey, Exmitglied von The Birthday Party und den Bad Seeds, verlorener kongenialer Partner von Nick Cave, habe ich zuletzt im Admiralspalast gesehen. Dort war er der souveräne Maestro im Hintergrund, während PJ Harvey vorne die verstrahlte, aber sendungsbewusste Nymphe mit Leier gab. Als musikalischer Leiter machte sich der ergraute Mick Harvey hervorragend.

An diesem lauschigen Mittwochabend im Silver Wings, in einem Flügel des Tempelhofer Flughafens, hatte er seine eigene Band dabei – und ein weiblich besetztes Streichquartett. Den Abend widmete er dem Werk des großen Franzosen Serge Gainsbourg. Das Doppelalbum („Intoxicated Man / Pink Elephants“) dazu ist seit April draußen; trotzdem wirkte dieser Abend, gelinde gesagt, wie eine Generalprobe vor ausgesuchtem, befreundetem Publikum.

Der Altersdurchschnitt angenehm hoch, die Erwartungshaltung entspannt, es hätte ein interessanter Abend werden können. Begonnen wurde mit der schweren Funk-Nummer „Requiem pour un con“, was man frei mit „Requiem auf ein Arschloch“ übersetzen könnte, bei Harvey wurde „Requiem for a Gun“ daraus. Ja, richtig gelesen, im Gegensatz zu den rüstigen Herren damals in der Beatles Bar ging es Mick Harvey bei diesem Projekt vornehmlich um den sprachlichen Transfer.

Um den Transfer von Image ging es indes weniger. Die Verruchtheit, die Coolness, der, ja, Sex des Franzosen, der in den sechziger Jahren zahlreiche Affären hatte, darunter wohl eine mit Brigitte Bardot, bevor er die englische Schauspielerin Jane Birkin heiratete, auch sein schelmischer Witz blieben in den Harvey’schen Versionen auf der Strecke. Schade, aber erklärbar: Mick Harveys Humor ist ein gänzlich anderer. Er ist sanfter, gesetzter.

Doch auch die Noir-Komponenten fielen weitgehend flach. Die Gainsbourg’schen Stücke wurden mehr oder minder orginalgetreu nachgespielt, ihnen wurde gar die ursprüngliche Kürze gelassen. Dabei hätten sie sich durchaus zur musikalischen Erweiterung geeignet. Aber Mick Harvey ging es um die Texte – vielleicht um das Werk des Franzosen einem englischsprachigen Publikum schmackhaft zu machen.

Dabei funktioniert Gainsbourg auch, wenn man nicht alles versteht. Nicht zuletzt, weil er selbst Transferleistungen vollbracht hat – er brachte Ethno-Jazz und Chanson mit Beat und Pop zusammen; er stellte die angloamerikanische Popkultur formschön gebrochen ins Französische. Wie man in „New York, USA“, in „Harley Davidson“, „Comic Strip“ und all den anderen Riesenhits immer noch hören kann.

Gainsbourgs ­Verruchtheit und Witz bleiben auf der Strecke

Harvey hingegen brach „Je t’aime …“ nach vier, fünf Takten ab und scheiterte auch mit „Bonnie & Clyde“ eher nicht so glorios. Stimmlich konnten weder er noch seine Gastsängerinnen mithalten. Was sollte das Ganze also? Und was unterschied Harveys Band noch von einer Hochzeitskapelle, die Popstandards covert? Was von dem Trio aus der Beatles Bar?

Das Streichquartett hätte es sein können. Eine tiefe Dringlichkeit, untermalt von Ins­trumenten, die an sich schon für Emotion sorgen. In einer Form, die man camp hätte nennen können – wie damals bei Adam Green, in dessen großer Phase Anfang der nuller Jahre, als Band und Streichquartett zusammen mit dem Green’schen jüdischen Humor (Verzeihung) eine charmante Melange bildeten.

Aber das war es leider auch nicht, dafür wurde das Quartett zu leise abgemischt. Was blieb, war der Wunsch, die Originale wieder zu hören. Und die Erkenntnis, dass auch Mick Harvey fehlbar ist, natürlich auf eine immer noch sympathische Art und Weise.

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