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Bizarre Normalität

Schwimm-WM Bei den Titelkämpfen in Kasan sind 16 Athleten mit Dopingvergangenheit am Start. Und dazu purzeln die Weltrekorde auch nach der Ärader Hightechanzügein einem unvorstellbaren Maße

Goldgewinnerin mit schwarzer Vergangenheit: J. Jefimowa Foto: reuters

KASAN taz | Es hätte so ein nettes Wiedersehen werden können. Da hatte Julia Jefimowa zum Abschluss des Abends das Finale über 100 Meter Brust gewonnen – sieben Zehntelsekunden vor Ruta Meilutyte (18). Einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der jungen Litauerin, die die 16-monatige Doping­sperre von Jefimowa im April als „ziemlich kurz“ bezeichnet, „härtere Strafen“ gefordert und Jefimowa aus ihrer persönlichen Liste „ehrlicher Wettkämpfer“ gestrichen hatte, stand also nichts im Wege. Doch die Russin saß alleine auf dem Podium. Und als einer fragte, wo denn Silbermedaillengewinnerin Meilutyte sei, stand der Interview-Leiter auf, blickte in den Raum und sagte: „Sie ist nicht da. Sie ist bei der Dopingkontrolle.“

Eine lustige Anekdote – in einem ganz und gar nicht spaßigen Umfeld. Denn in Sachen Doping macht der internationale Schwimmsport der Leichtathletik gerade mächtig Konkurrenz. Auch unter den prominenten Bahnenziehern häufen sich die positiv getesteten Fälle. Südkoreas Nationalheld Park Tae-hwan ist aktuell gesperrt. Der hünenhafte Chinese Sun Yang musste im Vorjahr drei Monate zwangspausieren. Und bei Jefimowa, die im Herbst 2013 auf das verbotene Steroid Dehydroepiandrosteron getestet worden war, verkürzte der Weltverband (Fina) die übliche Zweijahressperre um acht Monate.

Für das mit Dopingfällen belastete WM-Gastgeberland Russland war das eine gute Nachricht. Ihre Medaillengarantin Jefimowa (23) darf in Kasan auf den Startblock treten – und holte prompt Gold. Genauso wie der gleichaltrige Sun, der bei der WM bereits einmal Gold und einmal Silber holte und am Mittwoch im Finale über 800 Meter Freistil im Einsatz war. Bei Sun wurde alle Schuld dem zuständigen Arzt aufgeladen. Und der kraulende Riese selbst nannte Zweifel, dass bei den oft erstaunlichen Leistungssprüngen chinesischer Schwimmer alles mit rechten Dingen zugeht, in Kasan als „respektlos“.

Bei den Titelkämpfen sind 16 Schwimmer am Start, die bereits einen positiven Dopingtest hinter sich haben. Dazu purzelt in der Kasan Arena ein Weltrekord nach dem anderen – eine Flut, die nach dem Verbot der Hightech-Anzüge als undenkbar galt. Doch genauso lasch wie die Fina die Dopingbekämpfung angeht, so laut preisen ihre Funktionäre die Austragungsstätte der WM, das mit enormem Aufwand umgebaute Fußballstadion von Rubin Kasan. Und bei jedem neuen Weltrekord reiben sie sich hocherfreut die Hände.

Stolz erwähnt die Fina in ihrem täglichen Bulletin, dass mit den sieben Weltrekorden, die in Kasan bereits aufgestellt wurden, das Ergebnis der letzten WM in Barcelona (sechs) schon nach drei Tagen übertroffen wurde. Der Weltrekord ist der Welt der Schwimmchefs die heilige Kuh, Doping eine maximal lästige Begleiterscheinung.

Entsprechend aufmerksam verfolgt Dopingexperte Fitz Sörgel die Wettkämpfe in Kasan. „Im Schwimmen ist es letzten Endes ähnlich wie in der Leichtathletik – es wird dem Doping keine wirkliche Bedeutung beigemessen. Und international ist die Fina nie mit einem konkreten Antidopingprogramm in Erscheinung getreten.

So kommt es in Kasan zu bizarren Szenen – wie der, als Fina-Generalsekretär Cornel Marculescu erst einmal zum Handy greifen musste, um die korrekte Zahl der bei der WM geplanten Dopingproben nennen zu können. Sörgel erinnert an die „kleine Chinesin“ Ye Shiwen, die bei den London-Spielen 2012 mit ihren 16 Lenzen einen Fabelweltrekord über 400 Meter Lagen schwamm, bei internationalen Großereignissen danach aber nicht mehr in Erscheinung trat. „Wie normal das alles ist und wie danach in Ruhe weitergearbeitet werden kann – das ist schon interessant“, sagt Sörgel. Andreas Morbach

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