Indien und Bangladesch ziehen die Grenze glatt

Südasien Eine historische Anomalie wird endlich korrigiert. Zehntausende Bürger erhalten Identität

NEU-DELHI dpa | 54.000 Menschen können ihr Vaterland frei wählen: Indien oder Bangla­desch. Bisher waren sie staatenlos – gefangen in einem verwirrenden Archipel von 162 Grenzland-Enklaven. Jetzt ziehen beide südasiatischen Staaten ihre 4.096 Kilometer lange Grenze glatt.

Mit einem Gebietstausch haben Indien und Bangladesch am Samstag einen „ewigen“ Grenzstreit friedlich beigelegt. Rund 54.000 staatenlose Bewohner der Grenzregion erhielten dabei erstmals eine Staatsbürgerschaft. Die Menschen feierten mit Tänzen und Feuerwerken.

Nach dem um Mitternacht in Kraft getretenen Abkommen tauschte Indien seine 111 Enklaven in Bangladesch gegen 51 Enklaven des kleineren südasia­tischen Nachbarn aus. Die bisher staatenlosen Bewohner der Territorien konnten sich aussuchen, Bürger welchen Landes sie werden wollten. Indien verlor bei dem Tausch rund 40 Quadratkilometer.

Da die ­Enklavenbewohner vom Rest des Landes abgeschnitten waren, zu dem ihr Gebiet rechtlich gehörte, hatten sie kaum Zugang zu staatlichen Einrichtungen. Sie konnten weder verreisen noch legal außerhalb ihrer Enklaven arbeiten, hatten keine Schulen, keine Krankenhäuser, kein fließend Wasser und keinen Strom. Die meisten der Bewohner sind sehr arm und leben von dem, was sie selbst anbauen.

Die 14.854 Bürger der bisher bangladeschischen Enklaven in Indien optierten alle für die indische Staatsangehörigkeit. „Wir haben endlich eine Identität, wir sind volle indische Staatsbürger, das ist der glücklichste Tag in unserem Leben“, sagte der 25-jährige Saddam Mian. Von den 39.176 Bürgern der bisher indischen Enklaven in Bangladesch wollten bis auf 979 alle Bangladescher sein.

Die Grenzprobleme reichten bis ins Jahr 1713 zurück, als bengalische Herrscher in Verträgen mit den Moguln die Gebiete neu aufteilten. Damals entstanden viele Enklaven im jeweils feindlichen Territorium. 1974 hatten sich Indien und Bangladesch auf eine Grenzbereinigung geeinigt. Doch erst im Juni 2015 ratifizierten Neu-Delhi und Dhaka den Grenzvertrag.