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DER WIRT Gegenüber vom Görlitzer Park hat Jörg Stuhm sein Restaurant Eckbert Zwo. Er spricht mit allen. Mit Roma, die auf der Straße campieren, der Polizei – und den Drogenhändlern. Er kennt sich aus, hat selbst mal Heroin gespritzt und mit Haschisch gedealt„Nichts kann bleiben, wie es ist. Die Dinge müssen sich ändern“

Interview Plutonia PlarreFotos Karsten Thielker

taz: Herr Stuhm, was ist für Sie das Besondere an Kreuzberg?

Jörg Stuhm: Dass die Leute aus dem Bauch raus handeln und damit nicht auf die Fresse fallen.

Geht es ein bisschen genauer?

Die Marktwirtschaft bestimmt in Kreuzberg – wie überall – den Rahmen. Trotzdem ist Platz für Konzepte, die nicht aufs Geldverdienen angelegt sind. Das Lebensgefühl im Wrangelkiez ...

… wo sich Ihr Restaurant Eckbert Zwo befindet …

… ist von Menschen bestimmt, die ihr Schicksal in die Hand nehmen, allen Widrigkeiten zum Trotz. Der Gemüseladen ­Bizim Bakkal in der Wrangelstraße 77 ist Ausdruck davon.

Bizim Bakkal – „Unser Laden“ – wurde nach 30-jähriger Laufzeit gekündigt. Eine Nachbarschaftsinitiative „Bizim Kiez“ hat den Eigentümer dazu gebracht, die Kündigung zurückzuziehen.

Bizim Bakkal ist eine meiner festen Quellen für mein Restaurant: Superqualität zu vernünftigen Preisen. Die Kündigung war bitter und ungerecht. So ist sie, die Marktwirtschaft.

Gehören Sie auch zu den Profiteuren der Kiezaufwertung?

Der Laden stand ein Jahr leer. Ich habe ihn gemietet, bevor der ganze Hype losging.

Aber heute ist er eine Goldgrube?

Wenn ich eine Goldgrube wollte, würde ich ein anderes Konzept fahren. Ich möchte angenehme Leute um mich haben, nicht gehetzt sein und Zeit zu reden haben. Dafür stehe ich auch gern sieben Tage die Woche in der Küche und hinter dem Tresen.

Als was sehen Sie sich?

Ich bin der Wirt. Wir bieten gute, selbst gemachte regionale Küche an. Das Günstigste auf der Karte ist eine Kartoffelsuppe. Das fängt bei 2,50 Euro an. Aufhören tut es, wenn ich mal einen besonderen Fisch habe oder Fleisch. 20 Euro ist die Grenze. Teurere Lebensmittel kaufe ich nicht.

Wer verkehrt bei Ihnen?

Mein Stammpublikum rekrutiert sich aus Leuten aus dem Kiez: Einheimische und Zugezogene, manchmal auch Touristen. Menschliche Qualität bemisst sich nicht nach der Länge des Aufenthalts am Wohnort. Es gibt auch Zugezogene, die nahtlos in das gepasst hätten, was früher der Wrangelkiez war. Aber es kann nichts bleiben, wie es ist. Die Dinge müssen sich verändern. Und wenn man schlau ist, gestaltet man die Veränderung mit in die Richtung, die man gerne hätte.

Sie gestalten mit?

Ja, durch meinen Laden. Ich unterstütze Aktionen wie die für Bizim Bakkal. Noch ein Wort zum Lebensgefühl im Kiez. Die Bemerkung, die ich am häufigsten höre von ausländischen Touristen, ist: Wir haben nicht gewusst, dass deutsche Küche so lecker und abwechslungsreich ist. Wenn die Kreuzberger seit Jahren etwas auf die Beine stellen, das Touristen anzieht, dann kann das so schlecht nicht sein.

Ihr Restaurant befindet sich gegenüber vom Görlitzer Park. Wie ist die Situation dort, seit Innensenator Frank Henkel (CDU) vor vier Monaten zur Nulltoleranz-Zone für Drogen eingeführt hat?

Es hat sich wenig geändert. Die Dealer haben sich auf die Kon­trollen eingestellt. Wenn die Polizei unterwegs ist, sind sie weg. Wenn die Polizei weg ist, sind sie wieder da. Und es finden auch mehr Deals in den umliegenden Straßen und Hauseingängen statt.

Sprechen Sie mit den Drogenhändlern?

Zu einzelnen von den Jungs habe ich auf privater Ebene Kontakt über meinen Hund, mit dem ich ab und zu im Park bin. Aber es gibt Sachen, die will ich gar nicht wissen. Je weniger ich weiß, umso glücklicher bin ich.

Haben Sie auch Kontakt zu den Polizisten?

Selbstverständlich. Mein Eindruck ist, dass die allermeisten Polizisten eine andere Vorstellung von Polizeiarbeit haben als das, was sie da tun müssen. Durch die Berichterstattung hat sich das Ganze ja so verdichtet, als wäre der Görlitzer Park ein Problem.

Ist das kein Problem, wenn der Wirt einer Shisha-Bar so von Dealern bedrängt wird, dass er zwei Afrikaner niedersticht? So geschehen im November 2014.

Jörg Stuhm

Der Wirt: 1967 in Leutesheim, einem Dorf bei Kehl am Rhein an der Grenze zu Straßburg, geboren. Schon früh Mitglied im Leistungskader Leichtathletik. Der Traum einer Sportlerkarriere zerbricht, als sich Stuhm im Alter von 13 beim Fußball das Knie zertrümmert – nach einem halben Jahr an Krücken folgt lebenslanges Sportverbot. Im vegetarischen Restaurant-Kollektiv Linde in Ichenheim bei Freiburg i. B. Ausbildung zum Koch. In einer Punkrockband spielt er Baßgitarre und singt. Die Bundeswehr mustert ihn als untauglich aus.

Die Drogen: 1992 wegen gewerbsmäßigen Handels mit Betäubungsmitteln zu 18 Monaten Haft, ausgesetzt auf zwei Jahre zur Bewährung und 1.800 Mark Geldstrafe, verurteilt. Das Urteil bezieht sich auf sechs Kilo Haschisch in drei Einzellieferungen zu je zwei Kilo. Die Dealerkarriere hat ein halbes Jahr gedauert.

Das Wirtshaus: Stuhm reist durch die Welt und arbeitet als Koch. 1996 zieht er nach Berlin. Zusammen mit seiner Geschäftspartnerin Katrin Grünberg eröffnet er 2000 am Maybachufer in Neukölln das erste Wirtshaus. Sie nennen es „Eckbert“. Im Februar 2010 müssen sie schließen, weil die Hauseigentümerin lieber ein italienisches Restaurant möchte. Im selben Jahr macht „Eckbert Zwo“ in der Görlitzer Straße 53 Ecke/Oppelner Straße auf. Auch dieses Restaurant gehört Grünberg und Stuhm zu gleichen Teilen. (plu)

Der Wirt befand sich in einer anderen Situation, als ich sie habe. Direkt vor meinem Laden stehen die Jungs nicht. Ich bestreite nicht, dass es Handlungsbedarf gibt. Aber das Problem Görlitzer Park, das gibt es nicht.

Was gibt es dann?

Es gibt Interessenkonflikte zwischen verschiedenen Nutzergruppen. Die müssen geregelt werden.

Können Sie vielleicht ein Beispiel nennen?

Um die Roma im Park müsste sich jemand kümmern. Für uns Gewerbetreibende stellen sie ein drängenderes Problem dar als die Dealer. Die Situation spitzte sich deutlich zu in der Zeit, in der mehrere Großfamilien unterwegs waren.

Wie äußerte sich das?

Wir müssen jedem Gast sagen, dass er auf seine Sachen aufpassen muss. Jüngere weibliche Familienmitglieder gingen von Tisch zu Tisch, fragten nach Geld oder was zu essen. Am Ende der Straße tuschelten sie dann mit zwei älteren Männern. Sie hatten ausgecheckt, auf welchem Tisch ein Handy liegt. Die Männer haben wir erwischt, wie sie Tablets aus den Taschen der Gäste zogen, Handys vom Tisch und Jacken vom Stuhl nahmen. Mir ist der Kragen geplatzt, auch weil es mehrfach vorkam, dass sie den Gästen das Schnitzel vom Teller geklaut haben.

Was haben Sie getan?

Ich bin zum Chef gegangen. Zu dem Dicken, der auf der anderen Seite der Görlitzer Straße immer am Auto sitzt.

Um ihm die Meinung zu geigen?

Nein, man kann den Leuten nicht die Meinung geigen. Die sind im Recht. Die haben Not. Was soll’n sie machen?

Warum sind Sie dann zum Chef?

Ich habe mit ihm von Geschäftsmann zu Geschäftsmann gesprochen. Sein Geschäft ist ein anderes als meines. Aber wenn er keinen Ärger mit mir haben will, muss er sein Geschäft so abwickeln, dass ich mein Geschäft machen kann. Das kann ich nicht, wenn meinen Gästen das Essen vom Tisch geklaut wird. Danach hatten wir auch weniger Probleme.

Die Polizei rufen Sie nicht?

Damit ist keinem geholfen.

Hat das auch mit Ihrer eigenen Geschichte zu tun, dass Sie die Dinge lieber ohne Polizei regeln?

Nein. Ich kann durchaus unterscheiden, wann es geboten ist, die Polizei einzuschalten, und wann man als mündiger Bürger selbst Verantwortung übernehmen muss.

Sie sind in einem Dorf an der Grenze zu Straßburg aufgewachsen und hatten selbst mal mit Drogen zu tun. Bitte erzählen Sie uns davon.

Ich war gerade dreizehneinhalb, die Pubertät war gerade losgegangen. Eigentlich hatte ich eine Sportlerkarriere im Leistungskader Leichtathletik eingeschlagen. Aber dann bin ich beim Fußball unglücklich gestürzt und habe mir das Knie zerschossen. Bis dahin hatte ich alle meine Coolnesspunkte aus dem Sport gezogen und nun nie wieder Sport! Ich habe dann meinen Bewegungsdrang eine Weile in Drogen kanalisiert.

Wie fing das an?

„Es gibt Sachen, die will ich gar nicht wissen. Je weniger ich weiß, umso glücklicher bin ich“

Mit Saufen. Mit 15 habe ich angefangen zu kiffen, und dann ging es flott weiter. Ich hatte eine kürzere Affäre mit Heroin. Man findet immer eine Gruppe, mit der man die Erfahrungen teilt. Ob das nun auf Heroin In-den-Eimer-Kotzen ist oder auf Pille Bäume-Umarmen ist egal. Das mit dem Heroin lief parallel zu meiner ersten Beziehung.

Wo haben Sie sich kennengelernt?

France war Halbfranzösin. Ich habe schon früh ein kleines vegetarisches Kochbuch geschrieben und Kochkurse in einem Jugendzentrum gegeben. Dort habe ich sie kennenlernt. Wir haben uns in einer Zeremonie am Meer den Treueschwur gegeben. France war sehr drogenaffin. Sie hat alles angeschleppt. Ich habe natürlich mitgemacht. Wie das so ist. Da war ich siebzehneinhalb, achtzehn. Eineinhalb Jahre lang haben wir unsere kleinen Marmeladenfinger nach dem Heroin ausgestreckt. Ein halbes Jahr auch intravenös, das ganze hässliche Programm.

Das heißt?

Entzündete Venen, gegenseitig beklauen und so weiter. Bis ich irgendwann gesagt habe: Ist nicht meins. Gerade noch rechtzeitig habe ich geschafft, die Reißleine zu ziehen. Zu Hause habe ich einen kalten Entzug gemacht. Drei Monate lang nichts: keine Zigaretten, kein Alkohol, kein Heroin, nicht Kiffen. Kein Tee, kein Kaffee.

Sind Sie ein willensstarker Mensch?

Wenn ich was will, schaffe ich es. Bis heute ist das so. Aber man kann nicht jedem helfen. Dem ersten Menschen, dem ich nicht helfen konnte, war meine Frau. France hatte aufgrund einer Unverträglichkeitsreaktion von Heroin und Rohypnol Kreislaufversagen und ist gestorben. Niemand konnte ihr helfen, weil sie allein zu Hause war.

Waren Sie zu dem Zeitpunkt noch ein Paar?

Nein. Da war sie mit meinem damaligen besten Freund zusammen. Er hatte auch die Finger im Honigtopf. Ich musste mich aus der Clique rausziehen. Wenn man vom Heroin wegwill, muss man auch von den Leuten lassen.

Wie haben Sie die Todesnachricht aufgenommen?

Ich bin zusammengebrochen. Dann war ich wütend. Die Wut hat mir geholfen, endgültig vom Heroin loszukommen. Als France tot war, habe ich überlegt, wie man verhindern kann, dass das noch mal passiert. Das Hauptproblem ist, dass die Drogenvertriebswege vernetzt sind. Der Typ, bei dem wir unser Dope gekauft haben, hatte ein Interesse daran, die Leute auf Heroin zu bringen. Er war selbst Junkie. Ich habe dann einen alternativen Vertriebsweg für Haschisch klargemacht.

Sie sind also Dealer geworden?

Ja. Kiffen ist okay. Nicht für jeden und auch nicht jede Substanz für jeden. Ich habe mir gesagt: Leute, für die Kiffen kein Schaden darstellt, müssen drankommen können, ohne dass ihnen ein Dealer irgendeinen Scheiß unterzuschieben versucht, weil er mehr Geld verdienen will. Also habe ich mich darum gekümmert und den Puffer gemacht.

Das klingt selbstlos. In Wirklichkeit haben Sie vermutlich gut daran verdient.

Für meinen Lebensunterhalt habe ich immer gearbeitet. Die Dealerei war ein Nebenverdienst. Kein guter, aber immerhin. Ich habe das Geld verschleudert, nicht für mich, sondern für unsere Punkrockband. Ich war Bassgitarrist und Sänger. Instrumente kaufen, Probenräume bezahlen, Autos mieten, damit wir auf Konzerte fahren können.

Jörg Stuhm über die Görli-Drogenszene: Die Dealer haben sich auf die Kontrollen eingestellt. Wenn die Polizei unterwegs ist, sind sie weg. Wenn die Polizei weg ist, sind sie wieder da

Hatten Sie keine Angst aufzufliegen?

Ich habe immer darauf geachtet, dass die Umstände so waren, dass ein Prozess mit einer Bewährungsstrafe enden würde.

Und so kam es dann auch?

Ja. Ich habe zwei Wochen in Untersuchungshaft gesessen, dann bin ich entlassen worden. Ich hatte einen festen Wohnsitz, eine Freundin, Arbeit. Es bestand weder Flucht- noch Verdunkelungsgefahr.

Um was für eine Menge handelte es sich?

Sechs Kilo Haschisch in drei Einzellieferungen à zwei Kilo. Verurteilt worden bin ich zu 18 Monaten Haft, ausgesetzt auf zwei Jahre zur Bewährung und 1.800 Mark Geldstrafe.

Wie halten Sie es heute mit den Drogen?

Ab und zu mal ein Joint, wenn ich denn dazu komme. Falls das die nächste Frage sein sollte: Im Görlitzer Park bin ich nicht Kunde. Ich habe eine andere Bezugsquelle.

Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg möchte Erwachsenen den Erwerb von Cannabis erlauben. Wagen Sie eine Prognose: Was würde passieren, wenn das Bundesinstitut für Arzneimittelprodukte den Antrag bewilligen würde?

Nahezu jeder hätte dann zu Hause einen Grow-Schrank, in dem er sein Zeug selbst anbaut. Aber die Großdealer, die Millionen mit Drogenhandel einstreichen, werden schon dafür sorgen, dass es nicht dazu kommt. Wenn man es umdreht, könnte man sagen: Jeder der verlangt, dass es so bleibt, wie es ist, ist ein Handlanger der Drogenmafia. Bezahlt oder unbezahlt.

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