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Türkei setzt Luftangriffe fort

STRATEGIE Türkisches Militär bombardiert Stellungen der kurdischen PKK im Nordirak und des Islamischen Staates in Syrien. PKK kündigt Waffenstillstand mit der türkischen Regierung auf. Landesweit Razzien

Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

Seit Samstagmorgen bombardiert die türkische Luftwaffe wieder Stellungen der kurdischen Arbeiterpartei PKK im Nordirak. Die Reaktion erfolgte prompt: Per ferngesteuerter Bombe wurde ein Patrouillenfahrzeug der Armee nördlich von Diyarbakir bei Lice gesprengt. Zwei Soldaten starben, vier weitere wurden verletzt. Auch aus anderen Städten wurden Angriffe auf Polizisten oder Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und PKK-Anhänger gemeldet.

Damit beginnt sich die Spirale der Gewalt im Südosten nach einem dreijährigen Waffenstillstand zwischen der PKK und der Armee wieder zu drehen. Bei den Luftangriffen auf die PKK sollen mehrere Personen getötet worden sein, darunter auch Zivilisten. Das berichtete der Präsident der autonomen Region Kurdistan im Nordirak, Masud Barsani, im Anschluss an ein Telefonat mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu.

Verschiedene Wahrheiten

Während Barsani sagte, er habe gegenüber Davutoglu gegen die Luftangriffe protestiert und darauf gedrängt, dass die PKK und die türkische Regierung ihre Gespräche fortsetzen, ließ Davutoglu verbreiten, Barsani sei mit der Bekämpfung der PKK einverstanden. Die PKK verfügt seit Jahren über Lager im Nord­irak, die von der irakischen Autonomieregierung toleriert werden, obwohl Barsani politisch ein Konkurrent der PKK ist. (s. unten)

Bereits kurz nach den ersten Luftangriffen auf PKK-Camps im Nordirak – auch auf das PKK-Hauptquartier in den Kandil-Bergen – hieß es auf der Website der HPG, des militärischen Arms der PKK, eine Erklärung: Mit den Angriffen sei der Waffenstillstand einseitig von der Türkei aufgekündigt worden.

Der türkische Premier bestritt das bei einer Pressekonferenz. Man sei bereit, die Friedensgespräche mit der PKK fortzusetzen, sagte er, aber man werde mit Härte terroristische Aktionen verfolgen. Davutoglu bezog sich damit auf Angriffe auf Polizisten, die von der PKK oder PKK-Sympathisanten als Rache für das Attentat in Suruc am vergangenen Montag verübt worden waren. In Suruc starben 32 Menschen.

Sowohl Davutoglu als auch Präsident Recep Tayyip Erdogan machten am Wochenende klar, dass die Luftangriffe auf die PKK sowie auf Stellungen des sogenannten Islamischen Staates (IS) keine „Ein-Punkt-Aktionen“ waren, sondern kontinuierlich fortgesetzt werden.

Bis Sonntag flog die türkische Luftwaffe mindestens drei Angriffswellen gegen IS-Stellungen in Nordsyrien. Es geht dabei um ein Gebiet westlich des Euphrats, der in der Nähe von Kobani von der Türkei nach Syrien fließt, bis auf die Höhe der türkischen Grenzstadt Kilis, die etwa 40 Kilometer nördlich von Aleppo, der ehemaligen syrischen Handelsmetropole, liegt.

Die Luftangriffe auf die PKK und den IS sollen kontinuierlich fortgesetzt werden

Nach Informationen türkischer Medien soll der IS in dem Gebiet ungefähr auf einer Länge von 120 km und bis zu 40 km Tiefe von der türkischen Grenze verdrängt werden. Nach türkischen Angaben sollen die Vereinigten Staaten zugesagt haben, die türkische Luftwaffe dabei zu unterstützen. Bereits in wenigen Tagen soll die U.S. Air Base in Incirlik für Luftangriffe auf den IS zur Verfügung stehen.

Nach Vorstellungen der türkischen Behörden soll in dem Gebiet, aus dem der IS verdrängt wird, die säkulare oder moderat-islamische Freie Syrische Armee einrücken und dort die Kontrolle übernehmen. Die türkische Regierung hofft, dort dann auch syrische Flüchtlinge unterbringen zu können.

Auch innerhalb der Türkei wurden am Wochenende die Razzien gegen Anhänger des IS, aber auch gegen Mitglieder der PKK und der linksterroristischen DHKP/C fortgesetzt. Dabei wurde eine Frau getötet, die angeblich Mitglied der DHKP/C war und das Feuer auf Polizisten eröffnet habe. (siehe Foto)Insgesamt sind landesweit bereits knapp 1.000 Leute festgenommen worden.

Eine von einem breiten Bündnis angekündigte Friedensdemonstration in Istanbul, die am Sonntagnachmittag stattfinden sollte, wurde verboten. Am Samstagabend hatte die Polizei Friedensdemonstranten mit Tränengas und Wasserwerfern auseinandergetrieben.

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