: Revision im Auschwitz-Prozess
Justiz Die Verteidigung will ein milderes Urteil, manche Nebenkläger eine härtere Strafe
Am 15. Juni hatte das Landgericht den 94-Jährigen wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen zu vier Jahren Haft verurteilt. Die Staatsanwaltschaft Hannover hatte auch auf Beihilfe wegen der Tätigkeit in Auschwitz plädiert, aber eine geringere Strafe wegen der Verhandlungsverzögerung gefordert. Das Urteil hält die Staatsanwaltschaft trotzdem für vertretbar.
„Wir akzeptieren das Urteil nicht“, betont indes Grönings Verteidiger Hans Holtermann. Und er erklärt der taz, dass seine Partei nicht nur wegen der langen Verfahrensverzögerung (erste Ermittlungen liefen 1977) den weiteren Rechtsstreit sucht. Auch die Aussagebereitschaft seines Mandanten in anderen Verfahren hätte berücksichtigt werden müssen.
Bereits das Plädoyer der Verteidigung auf Freispruch im provisorischen Gerichtssaal der Ritterakademie hatte bei Nebenklagevertretern Befremden ausgelöst. Schon dort forderten die fünf Nebenkläger, die jetzt Revision einlegten, nicht von Beihilfe, sondern von Mittäterschaft auszugehen. Nebenklage-Anwalt Markus Goldbach führte aus, dass das Strafmaß der Staatsanwaltschaft von dreieinhalb Jahre einer Haftzeit von sechs Minuten pro ausgelöschtem Menschenleben entspräche.
Die Forderungen nach einer Verurteilung wegen Mittäterschaft lösten bei einem weiteren Nebenklagevertreter gleich starken Widerspruch aus: Vor dem Urteil intervenierte Cornelius Nester, der mit Thomas Walther 51 Nebenkläger von über 60 vertrat. Er warnte davor, diese Forderung zu berücksichtigen und erinnerte daran, dass in den 1960er Jahren in der Rechtsprechung NS-Täter davonkamen, da sie alleine wegen Täterschaft hätten belangt werden können, was ihnen aber nicht nachgewiesen werden konnte. Täter wurden schnell zu Gehilfen, die strafrechtlich frei ausgingen. Eine Verurteilung Grönings wegen Beteiligung in der Vernichtungsmaschinerie sei ein „Durchbruch“, die Merkmale für Mittäterschaft in den Vordergrund zu stellen dagegen ein „Rückschritt“, so Nestler.
Andreas Speit
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