piwik no script img

Besser ist manchmal auch billiger

FLÜCHTLINGE Eine Krankenversicherungskarte für Asylbewerber lohnt sich, sagt eine Studie

Untersuchung eines Asylsuchenden im Notquartier Foto: Armin Weigel/dpa

BERLIN taz | Das Schreckgespenst malen Sozialpolitiker gerne an die Wand: Wenn Flüchtlinge freien Zugang zu Ärzten hätten, würden sie all ihre Krankheiten aufwendig behandeln lassen und das Gesundheitssystem belasten. Die Wirklichkeit sieht anders aus, wie eine aktuelle Studie zeigt: Flüchtlinge, die aufgrund langer Aufenthaltsdauer oder eines Schutzstatus eine normale Versichertenkarte haben, verursachen geringere Gesundheitskosten als Asylsuchende mit eingeschränktem Zugang, die eine Behandlung auf Antrag bei den Sozialbehörden bekommen.

„Unter den Bedingungen eines gleichen Zugangs für alle Asylsuchenden hätten die Gesamtausgaben für deren medizinische Versorgung in den letzten 20 Jahren um etwa 20 Prozent gesenkt werden können“, sagt Kayvan Bozorgmehr, Autor der Studie und Versorgungsforscher am Universitätsklinikum Heidelberg. Forscher der Universitäten Heidelberg und Bielefeld hatten Daten des Statistischen Bundesamts zu den Gesundheitsausgaben für Asylsuchende mit eingeschränktem Zugang und für Asylsuchende mit normalem Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung verglichen. So waren die jährlichen Pro-Kopf-Ausgaben für medizinische Versorgung bei Flüchtlingen mit eingeschränktem Zugang in den letzten 20 Jahren im Schnitt um etwa 40 Prozent und damit um 376 Euro höher als bei Flüchtlingen, die bereits Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherungen hatten. Asylsuchende mit eingeschränktem Zugang haben Anspruch auf eine medizinische Versorgung nur dann, wenn es sich um eine akute Erkrankung, Schmerzen oder eine sonstige unaufschiebbare Behandlung dreht.

Durch diesen Behandlungsweg würden viele Erkrankungen verschleppt, Notfallbehandlungen in Krankenhäusern seien zudem teurer als ein Arztbesuch, erklärte Bozorgmehr. Außerdem gebe es kaum Prävention. Auch äußere Bedingungen spielen bei den Unterschieden eine Rolle: Die Unterbringung in zentralen Einrichtungen etwa erhöhe das Risiko für Infektionskrankheiten und für psychische Störungen, sagte der Forscher. Die Unterschiede im Bedarf – gemessen an Alter, Geschlecht, Herkunftskontinent und Unterbringungsart – konnten die jährlichen Ausgabenunterschiede zwar zum Teil, aber nicht gänzlich erklären, meinte Bozorgmehr.

Er verwies als Vorbild auf die Gesundheitskarte, die Flüchtlinge in Bremen und Hamburg bekommen. Damit können sie ganz normal einen Arzt besuchen, allerdings sind Zahnersatz und Psychotherapien in der Behandlung nicht enthalten, sondern werden nur unter bestimmten Bedingungen genehmigt. In Berlin bekommen die Flüchtlinge einen besonderen Krankenschein pro Quartal, mit dem sie zum Arzt gehen können. Wie Bozorgmehr erklärte, sei nicht davon auszugehen, dass Flüchtlinge generell höhere Gesundheitsausgaben verursachten als die deutsche Bevölkerung, da sie meist jüngeren Alters seien. Chronische Erkrankungen wie Diabetes entstehen meist in späteren Jahren. Auch Statistiken zu Bremen und zu Hamburg haben gezeigt, dass die Gesundheitsausga­ben nicht höher sind, wenn Flüchtlinge eine Gesundheitskarte erhalten statt Behandlungen auf Krankenschein. Letzteres verursacht auch höhere Bürokratiekosten. Barbara Dribbusch

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen