: Volkszorn und Mitgefühl
Fernsehen Das Erste untersucht in zwei Langzeitdokumentationen die Willkommenskultur in Deutschland.Die Filme kümmern sich nicht um aufgehetzte Nazis, sondern lassen Flüchtlinge zu Wort kommen
von Sven Sakowitz
Was passiert, wenn Flüchtlinge nach Deutschland kommen? Dieser Frage geht die ARD an diesem und am nächsten Dienstag jeweils um 22.45 Uhr mit den Dokumentationen „Willkommen auf Deutsch“ und „Das Golddorf – Asyl im Heimatidyll“ nach. Das Timing stimmt, Asyl und der Umgang mit Flüchtlingen sind die dominierenden innenpolitischen Themen und werden es wohl noch lange bleiben.
Beiden Produktionen ist gemein, dass sie sich nicht um die hoffnungslos verlorenen Nazis und Aufgehetzten von Hellersdorf, Freital und anderswo kümmern, sondern – mit jeweils etwas anderen Fragestellungen – die sogenannte bürgerliche Mitte und Flüchtlinge selbst in den Fokus rücken. Den Auftakt macht heute der exzellente 90-Minüter „Willkommen auf Deutsch“ von Carsten Rau und Hauke Wendler. Von Oktober 2013 bis Mai 2014 haben sie in zwei Ortschaften im niedersächsischen Landkreis Harburg gedreht.
In Appel sollte ein leer stehendes Altenheim in eine Flüchtlingsunterkunft für 53 Menschen umgewandelt werden, was zur Gründung einer ablehnenden Bürgerinitiative führte und zu einer aufgeheizten Protestveranstaltung, bei der sich der Behördenvertreter dem Volkszorn stellen musste. Im nur wenige Kilometer entfernten Tespe dagegen fanden die Filmemacher positive Beispiele einer Willkommenskultur. Zum Beispiel eine 80-jährige Rentnerin, die sich um eine Familie aus Tschetschenien kümmert. Der Schwerpunkt der Doku liegt auf dem Verhalten der Mehrheitsgesellschaft, aber auch Flüchtlinge kommen ausführlich zu Wort, ihre Geschichten gehen zu Herzen. Sie sprechen über ihre tägliche Angst vor der Abschiebung sowie die positiven und negativen Begegnungen mit den Einheimischen. Eine der großen Stärken von „Willkommen auf Deutsch“ ist, dass die Reaktionen der Dorfbewohner jenseits von Verharmlosung oder Dramatisierung betrachtet und die Einstellungen und Absichten zahlreicher Akteure erkundet werden. Im März kam der Film in die Kinos, im Anschluss an ausgewählte Vorstellungen haben seitdem unter Beteiligung von Organisationen wie Pro Asyl bundesweit mehr als 140 Diskussionsveranstaltungen stattgefunden.
Nächste Woche läuft dann zur selben Zeit „Das Golddorf“. Die Idee zu dieser Doku wurde vor einem Jahr beim ARD-Dokumentarfilmwettbewerb eingereicht, gewann und konnte deshalb für diesen halbwegs attraktiven Sendeplatz realisiert werden. Ursprünglich schwebte der Autorin und Regisseurin Carolin Genreith ein Culture-Clash-Film vor, der vom Aufeinandertreffen von Asylbewerbern und bayerischen Bürgern im Luftkurort Bergen im Chiemgau erzählt. Sie musste allerdings feststellen, dass es dort kaum Begegnungen gibt, die Gruppen nebeneinander her leben. Vielleicht ist dieses unerwartete Problem der Grund dafür, warum der Film ein bisschen unentschlossen zwischen dem Thema Flucht, bayerischem Lokalkolorit und einer Verhandlung des Begriffes „Heimat“ kreist.
Ein Dreivierteljahr begleitete Genreith zwei Flüchtlinge – einer stammt aus Eritrea, einer aus Afghanistan. Es sind die stärksten Szenen des Films, wenn die beiden über ihre Fluchtgründe, ihre Odyssee nach Deutschland und ihre Hoffnungen sprechen. Deutlich wird der zermürbende Effekt des ewigen Wartens auf den Fortgang des Asylverfahrens. Über die Einstellungen der bayerischen Bevölkerung zu den Flüchtlingen erfährt man dagegen recht wenig, in den Gesprächen geht es eher ums Schuhplatteln und um die bayerische Lebensart. Vermutlich steckt eine Idee dahinter – leider wird nicht deutlich, was für eine.
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