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Keiner verlässt die Leinwand

AUSSTELLUNG Eigenwillige Figuren, widerspenstige Körper: Mit „material matters“ präsentiert die Galerie futura Malerei von Deborah Schmidt. Der Veranstaltungsort sucht die Verbindung zwischen künstlerischer Praxis und politischen Interventionen

Mal fehlt der Kopf, mal fehlen die Beine, mal fehlt eine Hand. Es sind Körperteile, die vom Bild­rand abgeschnitten werden und doch nicht verloren gegangen sind. Deborah Schmidt will Körper nicht in einen Rahmen zwängen, sie sträuben sich gegen gesellschaftliche Zwänge, gegen ­Normen und Hierarchien. Die Malerin zeigt Menschen, die sich nicht in gängige Schönheitsvorstellungen, Proportionen und Geschlechterkategorien einsortieren lassen.

Ihre eigenwilligen Figuren geben zu denken, statt sich anzubiedern. Sie sind in sich versunken, wenden der Betrachter_in den Rücken zu, zappeln mit den Beinen und strecken ihr frech die Zunge entgegen. Inspiriert von Maria Lassnig und Jenny Saville formt Schmidt mit kräftigen Pinselstrichen über mehreren Farbschichten liegende Szenen, die Intimität zulassen, aber gleichzeitig eine in sich ruhende Distanziertheit der abgebildeten Personen vermitteln. Sie strahlen Stärke aus, ohne aufdringlich zu sein. Leuch­tende Farbakzente bringen Bewegung in die Oberflächenstruktur, lassen den klassischen Bildaufbau flirren und durchkreuzen ihn bisweilen. Farbverläufe, die sich wie Tränenspuren über die Leinwand ziehen, eröffnen neue Perspektiven.

Ein zweideutiges Lächeln

In einem hohen Raum eines alten Backsteingebäudes an der Spree zeigt die Galerie futura Schmidts Bilder. Hier finden neben Ausstellungen auch Veranstaltungen aus den Bereichen bildender Kunst, Film, Literatur, Performance statt sowie Workshops und Gesprächsrunden für Kulturproduzent_innen.

Die Galerie verfolgt einen geschlechterkritischen Ansatz, bietet Künstlerinnen Beratung und Unterstützung bei der Konzeption ihrer Projekte. Die Projektleiterinnen Katharina Koch und Anne Kohl wollen damit eine Verbindung zwischen künstlerischer Praxis und politischen Interventionen schaffen.

Die Ausstellung „material matters“, die Schmidts Bilder präsentiert, steht exemplarisch für dieses Konzept: Manchmal sind es die kleinen Gesten, ein versteckter Blick oder ein zweideutiges Lächeln, die dazu anhalten, eine Sekunde länger zu verweilen und den ersten Eindruck zu hinterfragen. Die Malerin sieht den menschlichen Körper als Austragungsort politischer, kultureller und historischer Zusammenhänge. Er ist das Material, das gesellschaftlich geformt und verformt wird. Auf ihm bildet sich die Spannung ab, die durch Widersprüche, Normierungen und Zwänge entsteht und noch in der kleinsten Bewegung erkennbar wird.

Doch es fehlt auch nicht an großen Ansagen: Mit ironischem Schmunzeln ist das Bild „Queerfeministische Revolution“ zu lesen, das eine Person mit hochgereckter Faust vor einem lodernd pinkfarbenen Hintergrund zeigt.

Die Titel der Bilder sind häufig nicht nur als weiterführende Erklärungen oder intuitive Momentaufnahmen zu verstehen, sondern als eigenständiger Teil der Programmatik. „Keiner verlässt die Leinwand, bevor das Bild nicht verkauft ist“, kritisiert die kapitalistischen Verwertungsbedingungen, unter denen die von Wirtschaftszwängen vermeintlich so freie Kunst produziert wird. Der dazu abgebildete Torso trägt ein Jackett und über der Anzughose ein Tutu; ob er oder sie jemals die Leinwand verlassen kann, liegt im Auge der Betrachter_in.

Die Verbindung von Kunst und Politik ist entscheidender Teil der Malerei. Schmidt ist Politologin und hat an der Goethe-Universität Frankfurt Kunst studiert. Sie hat über den Dächern Berlins und auf Anti-G-8-Gipfeln Freies Radio gemacht, in Mädchenzentren Skateboard fahren und Sprayen unterrichtet.

Das Spiel mit den Geschlechtern, die Vernachlässigung ihrer Bedeutsamkeit zieht sich durch die Bilder. Nicht moralisch versteinerter Ernst, sondern tänzerische Beweglichkeit ist tonangebend. Schmidt lässt ihre Figuren mit einem Grinsen über den Verhältnissen stehen. „Widerspenstig ist das, was sich nicht fügt, was sich nicht glätten lässt“, heißt es im Vorspann zur Ausstellungsbroschüre. Man könne das Widerspenstige mit technischem Aufwand, Desinteresse oder Humor glätten, lautet das Zitat weiter. Bei Schmidt hat eindeutig das Letztere den Vorrang. Zoe Sona

Noch bis 16. Juli in der Galerie Futura, Am Flutgraben 3, Mi.–Sa. 16.00–19.00 Uhr

Am 11. Juli um 15.00 Uhr findet ein Artist Talk mit Deborah Schmidt und J. Cash Hauke statt

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