RENNBAHNKRIMIS Wie man ein Subgenre erbt: Felix Francis, Sohn des Autors Dick Francis, schreibt die Familientradition fort: All die schönen Pferde
Als gelungene Familientradition gilt es immer noch, wenn Kinder (oder auch: Söhne) den elterlichen respektive väterlichen Betrieb übernehmen, Papis Praxis, Kanzlei oder Fabrik im familiären Geiste weiterführen.
Auf Gebieten geistiger Betriebsamkeit ist es ähnlich, bei Schauspielerfamilien zum Beispiel. Im Fall der britischen Familie Francis aber hat sich eine ganz besondere Form der Erbfolge vollzogen. Der 2010 mit 89 Jahren verstorbene Dick Francis, ein profilierter Exjockey, hatte einer beachtlichen sportlichen Karriere eine noch spektakulärere als Krimiautor folgen lassen. All seine (um die dreißig) Romane spielen im Rennbahnmilieu, und man kann Dick Francis wohl mit Fug und Recht als Begründer des Subgenres „Rennbahnkrimi“ bezeichnen.
Dessen bedeutendster Vertreter ist er zeit seines Lebens geblieben. Im Grunde aber war das Verfassen der Dick-Francis-Krimis stets eine Art Familienunternehmen. Gattin Mary war stets sehr entscheidend am Zustandekommen der Romane beteiligt und leistete mindestens einen Großteil der Recherchearbeit. Auch Felix, der jüngere Sohn, half dem Vater bei der Recherche und wurde schließlich zu dessen Koautor. Nach dem Tod seines Vaters wurde Felix schließlich vollends der neue Francis. Seinen ersten Beruf als Physiklehrer hat er an den Nagel gehängt und bereits zwei eigene Romane geschrieben. Einer davon ist unter dem Titel „Schwesterherz“ mittlerweile auch in deutscher Übersetzung erschienen.
Es gibt darin einen Ich-Erzähler, Mark Shillingford, der als Rennbahnkommentator arbeitet. Als er eines Tages ein Rennen kommentiert, in dem seine Zwillingsschwester Clare als Jockey mitreitet, bemerkt er entsetzt, dass sie ihr Pferd kurz vor der Ziellinie absichtlich zurückgehalten hat. Er konfrontiert sie mit seiner Entdeckung, die Geschwister trennen sich im Streit, und kurz danach ist Clare tot. Sie ist vom Balkon eines Hotelzimmers gefallen. Die Polizei verbucht den Todesfall als Selbstmord, doch Mark glaubt daran nicht und beginnt auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen.
Dabei entdeckt er, dass Clare sehr viel mehr Rennen manipuliert hat, als sie vor ihm zugegeben hatte. Und während er noch zwischen Trauer und Entsetzen schwebt, kreuzen verschiedene Männer seinen Weg, die ihm übel wollen. Zum einen ist der Ehemann von Marks Langzeitfreundin hinter die Affäre gekommen. Zusätzlich schleicht ein Klatschreporter herum, der nach Enthüllungen zu lechzen scheint. Und eines Abends wird gar ein Mordanschlag auf Mark unternommen. Er überlebt ihn zwar, doch der Täter kann unerkannt fliehen ...
Letzten Endes ist der Plot ein wenig zu figurenreich und die Auflösung zu wenig raffiniert, als dass der Roman über die komplette Langstrecke wirklich fesselnd bliebe. Aber weit über die erste Hälfte hinaus gelingt Francis eine dichte, atmosphärisch stimmige Rennbahnsoap, die spürbar davon lebt, dass der Hintergrund der Hauptfigur genau recherchiert wurde.
Marks ungewöhnlicher Beruf wird in vielen praktischen Details sehr genau beschrieben und in die Handlung eingebunden. Das ist ziemlich interessant und unterhaltsam und verleiht dem Roman Farbe und Authentizität. Es macht zumindest teilweise wett, dass Francis leider nicht in der Lage ist, seinen Figuren psychologische Tiefe zu geben.
Auch die eigentlich spannungsreich angelegte Familiengeschichte der Geschwister, die sich an einer dominanten Vaterfigur abarbeiten mussten, verspricht in dieser Hinsicht mehr, als schließlich eingelöst wird. Auf jeden Fall aber erweist sich Felix mit diesem Roman als sehr würdiger Nachfolger seines Vaters. Und womöglich findet sich ja irgendwo in der Familie auch noch eine Person, die in der Zukunft durch strenges Lektorat ein paar kleinere Redundanzen zu vermeiden hilft.
Katharina Granzin
Felix Francis: „Schwesterherz“. Aus dem Englischen von Malte Krutzsch. Diogenes, Zürich 2014; 398 S., 14,90 Euro
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