Gerettete Lebensmittel: Die Mission und das Geschäft

Erst verschenkten sie Essen, das sie vor dem Müll bewahrten. Jetzt machen zwei Aktivistinnen aus der Idee ein Geschäft. Das gibt, natürlich, Ärger.

Ein Supermarktregal

Lebensmittel stehen nicht überall so reichlich zur Verfügung. Trotzdem landet viel Essen in der Tonne. Foto: reuters/Mike Blake

BERLIN taz | Bislang waren sie immer die Guten: Nicole Klaski und Ines Rainer haben eine Mission. Seit Jahren bewahren die beiden Aktivistinnen Lebensmittel vor dem Verfall – im Rahmen des Vereins Foodsharing. Die Idee: Statt genießbare Lebensmittel wegzuwerfen, sollen sie lieber dorthin geraten, wo andere sie noch verzehren können.

Nun aber haben die beiden Kölnerinnen ein Start-up namens The Good Food gegründet. Und weil sie damit vor dem Verfall gerettetes Essen nicht nur verteilen, sondern es – zu reduzierten Preisen – vor allem auch verkaufen wollen, haben die beiden nun ordentlich Ärger: Bei Foodsharing, der mit inzwischen rund 7.900 Mitgliedern größten Lebensmittelrettungsbewegung Deutschlands, sorgt der Unternehmenssinn für Knatsch. Weil die Szene größten Wert auf Unentgeltlichkeit legt, stehen Klaski und Rainer plötzlich als die Bösen da.

Ein Beitrag im ARD „Morgenmagazin“ hatte den Verein aufgescheucht und die Gründerinnen in Erklärungsnot gebracht: Denn dort wurde Klaski zunächst als Foodsharing-Ehrenamtliche vorgestellt und begleitet, bis sich der Fokus dann auf ihr Supermarkt-Start-up richtete. In dem Beitrag wird nicht klar, ob die beiden Gründerinnen ihr unentgeltliches Lebensmittelretten vom Geldverdienen trennen.

Die Nachricht hat manchen Foodsharer scheinbar kalt erwischt: „Euer Handeln hat ganz tiefen Zweifel in mir hinterlassen, ob Ihr euer Business und Foodsharing wirklich trennen könnt oder das jemals getan habt“, schrieb ein Mitglied des Organisationsteams in einer internen Nachricht, die der taz vorliegt. „Wurden eure Kontakte zu Betriebsketten etc. nicht doch für eure Zwecke und zum Nachteil für Foodsharing genutzt?“ So schnell kann das gehen, wenn die Mission zur Geschäftsidee führt.

Um weiteren Vorwürfen entgegenzuwirken, hat Nicole Klaski ihr Engagement im Organisationsteam und in der Arbeitsgruppe, die mit den Vertriebsketten über Lebensmittelabholungen verhandelt, aufgegeben. Auch Ines Rainer lasse ihr Amt als Vizevorsitzende ruhen, geben die Gründerinnen an.

Die Gründerinnen wehren sich gegen den Vorwurf

„Wer unser Essen verkauft, fliegt.“ VALENTIN THURN, VORSITZENDER VON FOODSHARING E. V.

Inhaltlich aber wehren sich die beiden entschieden gegen den Vorwurf, die Engagements zu vermischen: Weder hätten sie jemals für Foodsharing gesammelte Lebensmittel verkauft, noch würden sie dies in Zukunft tun, sagen sie. „Unsere bisherigen Kooperationen sind über eigenständige Akquise und unabhängig von Foodsharing entstanden.“ Das Start-up setze an anderen Punkten an und wolle eine Lücke schließen: Bei den Produzenten und im Großhandel seien derartige Mengen abzuholen, dass Foodsharing sie nicht bewältigen könne.

Diesen zweiten Ansatz hält auch Foodsharing-Gründer Raphael Fellmer für sinnvoll. „Wir wissen auch, dass wir mit Foodsharing allein nicht alles retten können“, sagt er. Auch wenn die Bewegung seit 2012 schnell gewachsen ist und mit Größen wie Bio Company oder der Hamburger Drogeriekette Budnikowsky kooperiert. Eine Vermischung von Geschäftemacherei und Foodsharing sei bei dem gerade erst in der Planung steckenden Start-up nicht aufgetreten. Hätten die Gründerinnen jedoch weiter ihre Ämter inne, könnte andere das „Gefühl eines Interessenskonflikts“ beschleichen. Tatsächlich hat zumindest Klaski noch nicht alle Aufgaben in der Initiative aufgegeben: Sie hat etwa einen Minijob als Geschäftsführerin von Foodsharing und ist weiterhin „Botschafterin“ für Köln, koordiniert die Freiwilligen dort.

Passt das zusammen mit ihrem Geschäft? So ganz hat die Vereinsspitze das für sich auch noch nicht geklärt, eine Entscheidung soll dazu noch fallen. Denn trotz des Ärgers: Wohl kaum einer der Aktivisten würde eine Firma verteufeln, die gegen die Verschwendung noch genießbarer Nahrung arbeitet. Zudem sollte der Markt in Deutschland groß genug sein für beide: Immerhin werden nach einer jüngsten Studie der Umweltschutzorganisation WWF in Deutschland jährlich 18 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen.

Doch in der Bewegung gilt bislang: „Es dürfen keine Lebensmittel verkauft oder als Tauschware genutzt werden“, wie es in einem Online-Foodsharing-Nachschlagewerk heißt. Wer das nicht beachtet, kann für die Internetplattformen der Gruppe gesperrt werden. Oder wie Foodsharing-Vorsitzender Thurn unmissverständlich ausdrückt: „Wir sagen: Leute, wer Essen aus Foodsharing-Abholungen verkauft, fliegt.“ Ob Klaski und Rainer nun weiterhin zu den Guten zählen dürfen – das soll nun unter den Aktivisten intensiv diskutiert werden.

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